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Elektronischer Rundbrief Nr. 26/2010, 25.11.2010
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen – www.bag-plesa.de
c/o Claudia Kratzsch
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Tel.: 030/283 12 56
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V.i.S.d.P.: Claudia Kratzsch, Berlin
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Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen – www.bag-plesa.de

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Inhalt:

Aktionsbündnis „Krach schlagen“ Also-Oldenburg; ABSP , Bag-Plesa, Erwerbslosenforum Deutschland, Kos und das Tacheles-Wuppertal

„Krach schlagen – für mindestens 80 € mehr für Lebensmittel“: Das war und bleibt der Fokus von Erwerbsloseninitiativen in diesem Jahr.

Wir haben uns konzentriert auf das Thema Ernährung (Mangelernährung / gesunde Ernährung; die 80 €).

Wir haben uns eingesetzt für eine Anhebung von Einkommen um die gemeinsame Interessen von Erwerbslosen und Einkommensarmen, Beschäftigten (u.a. in Discountern), Lebensmittel-erzeugern) zu verdeutlichen.

Wir wollen also weiterhin den Zusammenhang verdeutlichen zwischen existenzsichernden, besser: „guten“ Löhnen, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, fairen Erzeugerpreisen und menschenwürdiger Grundsicherung, sprich deutlich angehobenen Regelsätzen.

Im Anhang ein erfreulichen Sachverständigenbeiträge am 22.11. 2010 im Ausschuss für Arbeit und Soziales vom Landessozialrichter Jürgen Borchert.

lg Claudia

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1. BAG-Plesa Bundesfachkonferenz

Hallo liebe Unterstützerinnen und an der Arbeit der BAG-Interessierte zum Bundestreffen der BAG PLESA (ex-bag-shi) vom 26.-28. November 2010 in Kassel sind noch Plätze frei.

Folgende Arbeitsschwerpunkte werden mit FachreferentInnen thematisch erarbeitet

1. Bürgerarbeit/Workfare

2. Regelsatzdebatte/Was der Mensch zum Leben braucht?

3. Kosten der Unterkunft

4: Arbeitsunrecht

http://bag-plesa.de/bundestreffen.html ; http://www.bag-plesa.de/

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2. Öffentliche Anhörung am 22.11. 2010 im Ausschuss für Arbeit und Soziales zu Änderungen SGB II / XII

Sachverständiger Borchert: Wir haben es gerade schon einmal vom Statistischen Bundesamt gehört, dass man die Bildungsbedarfe nicht verifizieren kann, weil man sich nur nach den Ausgaben orientiert und Ausgaben gibt es hier nicht, weil den Familien einfach das Geld fehlt. Deswegen noch einmal ganz grundsätzlich hier zur Klarstellung, dass wir nicht Kosmetik gegen Krebs einsetzen oder Operationen ohne Diagnosen vornehmen.

Wir wissen aus Untersuchungen der Bundesagentur zum Thema erbliche Armut, dass dort, wo der Arbeitsmarkt boomt, der Anteil der Hartz IV-Empfänger minimal ist, wenn ich mich richtig erinnere, um 0,2 bis 0,5 schwankt. Das heißt, wir müssen am Arbeitsmarkt ansetzen und wir müssen präventiv dafür sorgen, dass die Familien, die in Arbeit sind, nicht trotz einer vollen Erwerbstätigkeit in den Abgrund absacken wegen unseres verflixten Abgabenchaos.

Wir haben eine wahnsinnige Kluft zwischen Brutto- und Nettoeinkommen. Da müssen wir zu allererst einmal dafür sorgen, dass die Familien aus ihrem selbst erworbenen Einkommen die Kinder in Freiheit und Selbstverantwortung groß ziehen können.

Wenn ich mich richtig erinnere, ist auch der Anteil der alleinerziehenden Akademikerinnen besonders hoch im Bereich der SGB II-Bezieher. Woher nehmen wir die Überheblichkeit zu sagen, dass die ihre Kinder nicht erziehen können? Überhaupt hat das IAB eine spannende Untersuchung im Frühjahr veröffentlicht, die uns klargemacht hat, wie initiativ die Leute da unten sind. Und so zu tun, als ob da die Eltern im SGB II Bezug ihre Kinder nicht großziehen können, ist doch eigentlich eine Überheblichkeit, von der wir dann noch feststellen müssen, dass sie keinerlei empirische Basis hat.

Wir wissen aus den grundlegenden Arbeiten von Frau Dr. Münnich, dass die Eltern sich lieber verschulden, um die Bildungsbedürfnisse der Kinder zu erfüllen, als dass sie Schindluder treiben, mit dem, was die Kinder kriegen. Und wenn das passieren würde, hat Frau Dr. Fuchs den Vorschlag gemacht, analog zu den Kosten der Unterkunft dafür zu sorgen, dass man den Eltern erst einmal die freie Verfügung gibt.

Geld ist geprägte Freiheit und gibt den Eltern auch eine Rolle in diesem Spiel. Und wenn das fehlgeleitet wird, kann man es immer noch in Sachleistungen und Gutscheine ummünzen. Wenn ich noch einmal das Thema Chipkarte ansprechen darf, dann stellen wir doch fest, dass diese kulturpessimistische Unterstellung, dass bei Leuten, die aus welchen Gründen auch immer da unten gelandet sind und die nicht in der Lage sind, die Kinder großzuziehen, sich in der Empirie auch da nicht bestätigt, dass das Erziehungsfehlverhalten wirklich manifestiert wird.

Ich spreche die Amokläufe an. Die Amokläufe kamen alle aus gehobenen Schichten, obere Mittelschicht. Keiner von denen kam aus der Unterschicht. Deswegen müssen wir da mal etwas realistischer und respektvoller sein. Stichwort: Menschenwürdiger mit diesen Menschen umgehen!

Die Chipkarte würde die Bildungsbedarfe oder Bildungsangebote standardisieren und die Eltern ausklammern. Es ist interessant, dass Herr Alt vorhin eine ganze Aufzählung gemacht hat mit Familienhilfe, Jugendhilfe, die freien Wohlfahrtsverbände und so weiter.

Die Eltern tauchten da nicht auf. Wir dürfen aber nicht an den Eltern vorbei oder gar über die Eltern hinweg das machen. Nur ein Beispiel: Die Chipkarte in Stuttgart, die hat deswegen eine so hohe Akzeptanz - und darauf weist Frau Dr. Lenze ja hin -, weil die Zoo- und Schwimmbadbesuche da enthalten sind. Aber das ist genau nicht das, was hier mit dieser Bildungsförderung angedacht ist, deswegen bin ich da sehr, sehr skeptisch. Noch ein Wort zur Infrastruktur: Das findet sich hier durch die Bank weg bei allen Parteien. Bei der Infrastruktur erinnere ich einfach an das Buch von Renate Schmidt, der vormaligen Familienministerin. Das hat sie im März 2002 veröffentlicht. Da wusste sie noch nicht, dass sie im September die Stellung als Bundesfamilienministerin haben würde. Da hat sie den Ganztagsbetreuungsbedarf quantifiziert und kam auf den Bedarf von 30 Milliarden Euro zusätzlich.

Und das müssen nach Lage der Dinge hier vor allen Dingen die Kommunen schultern, die ohnehin schon für 75 Prozent der Infrastrukturausgaben der öffentlichen Hände verantwortlich sind. Wie soll denn das funktionieren? Das geht hinten und vorne nicht auf. Deswegen: Wenn wir uns über Infrastruktur unterhalten, müssen wir uns eigentlich richtigerweise über eine Änderung des Finanzverfassungsschlüssels zu Gunsten der Kommunen, die diese Aufgaben zu schultern haben, unterhalten. Da ist doch der Hund begraben und nicht bei der Frage, ob wir hier kleinere Bildungsbedarfe noch zugestehen. Es muss im großen Stile diese Aufgabe angegangen werden. Und da reichen diese Kleckerbeträge nach meiner Überzeugung vorne und hinten nicht aus.

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2. Guido Grüner: Bedarfe für Unterkunft und Heizung

(Auszug aus der Stellungnahme zur Anhörung, 22.11. 2010)

Verfassungsauftrag ist die Herstellung bundesweit einheitlicher Lebensverhältnisse in wesentlichen Bereichen. Die §§ 22a und 22b SGB II sollen Kreise und kreisfreie Städte ermächtigen, zum zentralen menschlichen Grundbedürfnis “Wohnen” eigene, örtliche Angemessenheitsgrenzen zur Wohnfläche und den Kosten für einen einfachen Standard aufzustellen. Bislang gelten bundeslandeinheitliche Wohngrößen, die gegeneinander nur geringe Unterschiede aufweisen. Im Ergebnis existiert heute ein beinahe bundeseinheitlicher Maßstab zur angemessenen Wohnfläche unterschiedlicher Haushaltstypen (Ein-, Zwei-, Drei- etc. Personenhaushalte). Die Neuregelung würde Kommunen erlauben, diesen Maßstab für ihren Bereich abzusenken, Ihre oft finanziell prekäre Lage wird die Bereitschaft fördern, die Wohnkosten der Armen als kommunalpolitisches Handlungsfeld wirkungsvoller finanzieller Entlastungen zu nutzen. Je niedriger die angemessene Wohnfläche angesetzt wird, je höher der Spareffekt. Diese Entwicklung würde einen neuen Markt für Kleinstwohnungen schaffen, denn der Druck der Sozialbehörden zur Senkung der Unterkunftskosten garantiert Nachfrage. Kleinstwohnungsghettos sind absehbar.

In einigen Teilen der Republik bereits nachzuweisende Prozesse der Verdrängung der Armen in Quartiere minderer oder minderster Wohnqualität und Infrastruktur werden mit diesen Regelungen zusätzliche Wege geebnet. Die ebenfalls enthaltene Regelung, dass für auch für einzelne Stadtbezirke 12 gesonderte Wohnungsgrößen als angemessen gelten dürfen, wird zusätzlicher Motor der Ghettobildung sein.

Die mit den §§ 22a und 22b SGB II beabsichtigten Regelungen sollten fallen gelassen werden. Für die finanziellen Nöte der kommunalen Gebietskörperschaften sind die Bevölkerungsgruppen mit geringen Einkommen nicht verantwortlich zu machen.

12 In § 22b SGB II heißt es: “Um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden, können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmen.” (Drs. 17/3404, S 29)

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PS:

- Die Homepage der BAG findet Ihr unter der http://www.bag-plesa.de. Die ALTE Seite unter http://www.bag-shi.de dient als Archiv.

- Anmerkungen und Anregungen zu diesem Rundbrief sowie Beiträge zur Berücksichtigung für die künftigen Rundbriefe bitte per Email an die Herausgeberin, Claudia Kratzsch senden (gittaschalk [at] googlemail [dot] com).

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