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Elektronischer Rundbrief Nr. 25/2010, 11.11.2010
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen –
www.bag-plesa.de
c/o Claudia Kratzsch
Pflugstr. 9, 10115  Berlin
Tel.: 030/283 12 56
bag-plesa [at] web [dot] de

1.   V.i.S.d.P.: Claudia Kratzsch, Berlin
Der Rundbrief kann abonniert werden unter:
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Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen –
www.bag-plesa.de


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      Inhalt:

1.      Vorwort

2.      Aktionsbeispiel 1:   Berliner Bündnis

3.      Aktionsbeispiel 2: “Druck machen gegen soziale Kälte”,

4.      Hartz IV- Leistungskürzungen

5.      Keine-r geht allein zum (Amts)-Arzt,

(Mit freundlicher Erlaubnis des Runden Tisches gegen Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung)

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1. Vorwort:


Unsere Demonstration am 10. Oktober 2010 in Oldenburg war ein voller Erfolg! Wir, die Organisatoren der bundesweiten Demonstration „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“, ziehen eine durchweg positive Bilanz.  Wir wollten eine Erwerbslosendemo machen die Erwerbslose anspricht und von diesen/uns getragen wurde, das ist gelungen.
Es wurde deutlich, dass 80 Euro mehr für Lebensmittel sofort absolut notwendig für eine ausreichende Ernährung von Hartz-IV-Beziehenden ist und eine Forderung die in aktuelle politische Entscheidungsproßesse eingreift.

Es wurde deutlich, dass ein gesellschaftliches Bündnis zwischen Erwerbslosen, Flüchtlingen, GewerkschafterInnen, prekär Beschäftigten, Teilnehmer-innen aus dem unabhängigen Spektrum und Landwirten ein richtiger Anfang ist, um nicht nur ein menschenwürdiges Grundeinkommen, sondern auch Existenz sichernde Löhne und gerechte und ökologische Arbeits- und Lebensverhältnisse für alle Menschen durchzusetzen.

Das Haushaltsbegleitgesetz, das die leistungsrechtlichen Kürzungen enthält (Anrechnung Elterngeld für Hartz-IV-Bezieher, Streichung Übergangszuschlag, Wegfall Rentenbeiträge, Streichung Heizkostenzuschuss beim Wohngeld) ist am 28.10. in dritter Lesung vom Bundestag beschlossen worden und somit durch (das Gesetz ist laut Gesetzentwurf nicht zustimmungspflichtig). Allerdings sind die Verhandlungen zum Gesetzespaket des SGB II nim Bundestag noch nicht abgeschlossen.  Die Verhandlungen im Bundestag laufen bis zum 3.12., der Bundesrat hat seine letzte Sitzung am 17.12.2010. Es bleibt zu hoffen, dass die Grünen und die SPD im Bundesrat die schwarzgelbe Regelsatzkalkulation zurückweisen. Hartz IV, soviel ist klar, definiert indirekt die Höhe des Lohnes im Niedriglohnsektor mit. Deshalb hoffen wir das regionale Aktivitäten nicht abreißen. Bitte sendet alle Berichte, Filme/Videos und Fotos von euren Aktionen an die Website: www.krach-statt-kohldampf.de. Dort werden sie veröffentlicht.

freundliche Grüße Claudia


In eigener Sache: Am 26. Bis 28.11 ist Bundesfachkonferenz und Mitgliederversammlunhg der BAG-Prekäre Lebenslagen. Anmeldung möglich über www.bag-plesa.de.

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2. Aktionsbeispiel  1: Berliner Bündnis richtet persönliche Frage an alle Bundestagsabgeordneten:


"Wie hoch müßte der Regelsatz sein, um Ihnen ein menschenwürdiges Leben zu sichern, wenn Sie erwerbslos  wären?"
 Die tolle Demo in Oldenburg hat uns angespornt: Im Anschluss an ein Berliner Nachbereitungstreffen derer, die nach Oldenburg mobilisiert hatten,

hat sich spontan das Berliner Bündnis „Regelsatzerhöhung jetzt!“ gegründet.

Es will mit konkreten Aktionen unser gemeinsames Ziel einer deutlichen Regelsatzerhöhung voranbringen. Erste Aktion ist besagter Brief an alle (derzeit) 621 Bundestagsabgeordneten
Die Antworten der MdB werden in Kürze auf der Bündnis-Website zu lesen sein, die etwa ab Mitte nächster Woche eingerichtet sein wird.

In dem Bündnis sind folgende Berliner Initiativen vertreten:

·         AG Beschäftigungsindustrie

·         AG Soziales Berlin

·         Berliner Kampagne gegen Hartz IV

·         EzB-BASTA!(Erwerbslosenzentrum Berlin-BASTA!)

·         Keiner muss allein zum Amt

·         ver.di Bezirkserwerbslosenausschuss Berlin

·         Adresse demnächst: www.regelsatzerhoehung-jetzt.org

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3. Aktionsbeispiel 2:  “Druck machen gegen soziale Kälte”, Hannover, DGB- Demo

6.11.2010 “Mindestens 80 Euro mehr für Ernährung in der Regelleistung –sofort!” Bericht aus dem Krach- Schlagen-Block

 

Mobilisiert hatten Initiativen und ver.di-Erwerbslose aus Niedersachsen, Bremen und auch einige Berliner_innen haben mitgemacht. Zusammen haben wir einen Krach-

Schlagen-Block von ca. 100 bis 150 Erwerbslosen und ihren Unterstützer_ innen gebildet. Im Ergebnis war der Block nicht zu überhören. Besonders gefreut haben wir uns seitens der ALSO über die gute Unterstützung aus unserem Umfeld wie auch über die bei der Oldenburger ver.di organisierten Beschäftigten privater Postdienstleister, die uns dabei halfen, einen 44-Plätze Bus des DGB zu füllen. Unsere neue Krach- Schlagen-Fahne hat sich dabei bereits bewährt - auch auf einer Luftaufnahme in der Tagesschau war sie noch aus großer Höhe deutlich zu erkennen. Kein Krach ohne Vorbereitung: Im Bus wurden unsere Töpfe, Kanister und Plastikeimer verstaut (Vielen Dank an dieser Stelle für die Geräte auch an den Oldenburger BDM-Teamleiter und zwei Gewerbebetriebe aus der Nahrungsmittelbranche, eine Metzgerei und eine Kantine). Auch wenn es mir nach der Demo schien, dass wir noch mehr dafür tun müssen, jene auch mehr für unsere Aktionen zu gewinnen, die nicht direkt in den ALSO-Netzwerken eingebunden sind, dürfte der Block ein Erfolg gewesen sein. Das zeigte auch eine Reaktion von MitstreiterInnen zweier Erwerbslosengruppen aus Hannover:

Wir freuen uns natürlich über die organisierten Erwerbslosen aus Hannover, zumal sie zudem noch für prima Verpflegung mit Brötchen und Kaffee gesorgt haben.

Überhaupt nicht zufrieden stellend war hingegen die Berücksichtigung Erwerbsloser durch die Macher der DGB-Demo. So wurden wir zum Auftakt erst auf gezielte Intervention beim Redepult begrüßt. Auch die aktuell umstrittenen Entscheidungen um Hartz􀀁IV wurden in den Redebeiträgen von DGB-Chef Michael Sommer und Sozialverbandspräsident (SoVD) Adolf Bauer bar jeder konkreten Forderung und fern von jedem Ansatz zu politischen Druck abgehandelt. So schaffte es Michael Sommer zwar, wortgewaltig gegen Armutslöhne und Maßhalteappelle bei Lohnabschlüssen zu schimpfen und zu kritisieren, dass Arbeitnehmer in der Krise “den Karren aus dem Dreck ziehen durften” ohne im Aufschwung teilhaben zu können. Zum Arbeitslosengeld II fiel ihm aber nur ein, dass “anständige Löhne” ein Leben “ohne die Aufstockung durch Hartz IV” ermöglichen müssten. Dass Erwerbslose und Aufstocker in der Krise auch Einbußen haben, kommt bei ihm nicht vor. Beide Redner machten einen auffällig weiten Bogen um eine ganz zentrale gesellschafts- und arbeitsmarktpolitische Stellschraube: Das Niveau der Regelleistung von Hartz IV und Sozialhilfe. Selbst die Extra-Schikane bei den Mini-Zusatz-Leistungen für Kinder (“Chipkarten-Debatte”) waren ihnen kein Wort wert.

Wir dürfen davon ausgehen, dass ihnen klar ist, dass das Hartz IV-System Motor und Stabilisator der von ihnen beklagten Armutslöhne ist. Doch weder wurde die deutliche Anhebung der Regelleistungen gefordert, geschweige denn eine konkrete Forderung zur Leistungshöhe formuliert. Der Redebeitrag von Michael Sommer: Viele

Demo-Teilnehmer lassen sich von Verbal-Getöse nicht mehr beeindrucken. Die aktuellen Verschärfungen der Hartz IV Gesetze waren auch kein Thema. Ich ahne Böses: wird die SPD die Regierungsvorhaben zum Hartz􀀁IV-Recht durchwinken, wenn ihnen ein Entgegenkommen beim Mindestlohn durch die Regierungsparteien auch nur  angedeutet wird? Denn wenn Spitzengewerkschaftler  kein Mindesteinkommensniveau für ein menschenwürdiges Leben benennen, keinen Mindestbetrag für den Hartz IV-Satz, auf der Kundgebung vielmehr jede Präzisierung

vermeiden, bleibt völlig offen, was denn das Kriterium für einen “allgemeinen existenzsichernden Mindestlohn” (Sommer) sein soll.

Und noch ein Hinweis zur Erdung von Erwartungen an die DGB-Spitze: DGB und SoVD bringen derzeit ins Gespräch, die Hinzuverdienstgrenzen bei Hartz IV an einen Mindestlohn zu koppeln, um den Niedriglohnsektor nicht länger zu fördern [1]. Das ist - so lange politisch keine eindeutige Mindestlohnregelung durchgesetzt ist -, aus meiner Sicht völlig abwegig, denn mit dieser Regelung würde einzig das Dilemma

dieser Verbände, sich mit der Macht nicht ernstlich anlegen zu wollen, gänzlich zu Lasten Erwerbsloser und im unteren Einkommenssegment Beschäftigter entsorgt. Denn diesen würden im Ergebnis auch noch die Erwerbstätigenfreibeträge von Hartz IV genommen werden. Das wäre eine Bestrafung der Opfer der Ausbreitung von Niedrigstlöhnen, für die SPD und Grüne mit Hartz IV erst gesorgt haben – unterstützt oder geduldet durch Interessenvertretungen

der Arbeitnehmerschaft selbst. Wo sie sich heute noch immer nicht von dieser Politik unmissverständlich distanzieren mögen, sollen􀀃s offenkundig deren Opfer ausbaden – eine weitere Variante von Hartz 5?

Doch die DGB-Spitze schaut nicht nur beim Armenrecht weg. Getreu ihres Kampagnen- Mottos “Schieflage in Deutschland” fehlte auf der Kundgebung jeder Hinweis auf die Grundlagen des aktuellen Jobbooms in der BRD: Die Schieflage innerhalb Europas, wo die deutsche Industrie die Abwertung des Euros genießt. Sie wächst durch die Steigerung ihrer Exportquote in Nicht-Euroländer, Kurzarbeit wird zurück und Leiharbeit wieder hochgefahren. Dass dieser Jobboom erst durch das brutale Abwarten der Bundesregierung angesichts der Griechenlandkrise möglich wurde und heute die unter den rigiden Sparprogrammen in Griechenland leidenden Arbeiter_innen für die neuen Jobs in Deutschland zahlen, war den deutschen Gewerkschaftsoberen keine Silbe wert. Dass politischen Eingreifen auch in der BRD ganz anderes laufen könnte, deuteten die auf dieser Demonstration vertretenen Betriebsgruppen (z. B. Daimler Bremen und Volkswagen) wie auch die zeitgleiche Arbeitsniederlegung durch ver.di-Kollegen bei den Nahverkehrsbetrieben Braunschweig an. Die Mobilisierung in Betrieben ist nicht unmöglich, auch wenn darin vielleicht keine große Übung mehr besteht. Aber eines ist dazu unerlässlich: politisches Eingreifen und derartige Aktionen müssen zuerst gewollt und dann organisiert werden. Auch Siegfried Sauer, der hiesige ver.di-Landesbezirksleiter, machte am 30. Oktober andere Wege deutlich, als er sich auf einer ver.di Bezirkskonferenz im Grundsatzreferat die Forderung der Erwerbslosennetzwerke nach “mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel” zu eigen machte.

Allen, die den Krach-Schlagen-Block mit uns gestaltet haben, vielen herzlichen Dank,

ganz besonders auch von der ALSO den Gruppen "Roter Pfeffer" und "Bantamba moolu" Guido / ALSO

Eine Liste der Ungerechtigkeiten, nur: Der Bereich der Leistungen für Erwerbslose fehlt.

[1] SoVD: Sicherung von Beschäftigung und sozialer Schutz bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarktpolitische Forderungen des SoVD, S. 5; DGB: ba-intern, Informationen für die Verwaltungsausschüsse der Bundesagentur für Arbeit, Nr 09 / 2010.

 

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4. Schwarz-Gelb verweigert klare Aussage zu neuer Hartz-IV-Leistungskürzung bei Erwachsenen

Aufgrund der jüngsten Kritiken von Sozialverbänden zur Einführung einer neuen Regelbedarfsstufe für Erwachsene, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt anderer leben, wurde heute im Ausschuss für Arbeit und Soziales keine klare Auskunft darüber gegeben, ob diese Regelbedarfsstufe von 80 Prozent der Regeleistung eines Erwachsenen faktisch zu einer Leistungskürzung um 73 Euro für diese betroffenen Erwachsenen führt. Verwiesen wurde seitens der Bundesregierung auf die Einzelfallprüfungen, die bisher im Sozialgesetzbuch XII dafür vorgesehen sind und nunmehr auf das Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) übertragen werden. Dazu erklärt Katja Kipping, die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE:

Die schwarz-gelbe Bundesregierung trifft keine klare Aussage zum Vorwurf, durch die Hintertür bei Hartz IV Leistungskürzungen um 20 Prozent für Erwachsene, die z. B. über 25 Jahre sind und noch im Elternhaushalt leben, mit dem jetzigen Gesetzentwurf vorzunehmen. Der Verweis auf die Einzelfallprüfung lässt eine schleichende Uminterpretation der jetzigen Bedarfsgemeinschaftsregelung bei Hartz IV vermuten mit der Folge, dass die betroffenen Erwachsenen 73 Euro weniger soziale Leistungen im Monat erhalten, als ihnen zustünde. Denn bisher bilden über 25-Jährige eine eigene Bedarfsgemeinschaft mit Anspruch auf 100 Prozent der Regelleistung, auch wenn sie bei den Eltern leben.

http://www.katja-kipping.de/article/352.schwarz-gelb-verweigert-klare-aussage-zu-neuer-hartz-iv-leistungskuerzung-bei-erwachsenen.html

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5. Keine_r geht allein zum (Amts)- Arzt

Psychologisch Begutachtende bewerten die Leistungsfähigkeit

Bei Erwerbsloseninitiativen und bei RechtsanwältInnen werden inzwischen wiederholt Hartz IV-Beziehende angetroffen, für die Jobcenter aus mitunter rechtswidrigen Gründen „psychologische Gutachten eingeleitet haben oder die bereits begutachtet wurden. Grundlage dessen ist eine Norm der Bundesagentur für Arbeit (BA), in der es zu den Grenzen des Psychologischen Dienstes der BA heißt: „In Hinblick auf die Feststellung der Erwerbsfähigkeit kann der psychologische Dienst ausschließlich eine Aussage treffen, ob und inwieweit psychische Faktoren das Leistungsvermögen der Kundin oder des Kunden mindern. Wird während der psychologischen Begutachtung deutlich, dass zusätzlich eine ärztliche Aussage notwendig ist, so wird in jedem Fall eine ärztliche bzw. eine fachärztlich-psychiatrische Begutachtung empfohlen. Geht es um körperliche Einschränkungen, ist in jedem Fall der Ärztliche Dienst einzuschalten.“ Die Gründe für die Einschaltung des Psychologischen Dienstes sind tabellarisch angeführt. „Einlassungen zu psychischen oder Drogenproblemen können aus dem Programm „Verbis“ („Vier-Phasen- Modell der Integrationsarbeit“)“bundesweit gelesen werden und sind durch das neue Verfahren ggf. leichter auffindbar.“ U.a. deshalb befürchten Sozialarbeitende, dass ihre Berichte über sehr private Angelegenheiten der ihnen Anvertrauten über das PC-Netzwerk der BA in falsche Hände geraten. So könnten Arbeitgeber über sich neu Bewerbende Kenntnis erlangen.

Vorsicht vor psychologischen Begutachtungen

Die „Aktion Agenturschluss“ aus Köln schreibt: „Neben den Einkommenseinbußen und dem Drangsalieren werden Erwerbslose mehr durchleuchtet als andere. Sie  erstellen ein Profil von Dir, machen psychologische Tests, mit denen sie geistige und sonstige Fähigkeiten bewerten ähnlich wie in der Kriminologie. So ist ein ganzer Wirtschaftszweig entstanden. Gesellschaften von  Sozialarbeitern und Psychologen schleusen Hunderte von Arbeitslosen durch, für die das Procedere im Ein- Euro-Job endet.“ Die Betroffenen selbst sind sich mitunter dessen, was mit ihnen passiert, nicht bewusst oder fragen: "Warum nicht?" Mitunter wundern sie sich dann aber sehr über die Aussteuerung aus dem Hartz IV- Bezug und die Aufforderung der ARGE, einen Antrag für die Grundsicherung für Erwerbsgeminderte beim SGB XII-Träger (Sozialamt) zu stellen oder aber sich bei einer Schwerbehindertenwerkstatt zu bewerben. Denn mit dem „psychologischen Gutachten“ wird ihnen die Leistungsfähigkeit zu regulärer Erwerbsarbeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt mit „psychologischen Diagnosen“nach dem Katalog der „psychischen Krankheiten4 aberkannt oder sie in psychiatrische Behandlung gezwungen5. Psychologen/ Psychiater deuten das Verhalten und das Gesagte von Leuten und stellen es als krankhaft hin6

Maßstab ist die Teilnahme an der Erwerbsarbeit

Psychologische Gutachten entscheiden über die Möglichkeit, ob jemand an der Erwerbsarbeit teilnehmen kann oder nicht. Sind zunächst körperliche bzw. organische Krankheiten nicht erkenn- oder lokalisierbar, werden psychische Begutachtungen eingesetzt, um die Ursache der Nichtteilnahme an der Erwerbsarbeit herauszufinden. Im Umkehrschluss entspricht dies dem Wunsch von Arbeitgebern, die „völlig funktionierende“ Arbeitskräfte mit „Power“, „Engagement“, „voll bei der Sache“ wollen und die die entsprechende Menge und Qualität an Arbeit in der vereinbarten Zeiteinheit leisten, ohne viel Pausen oder Ausfall bei Krankheit. Deshalb werden u.a. nach Intelligenztests so genannte Minderleister für „geistig behindert“ erklärt und in Schwerbehindertenwerkstätten verwiesen.7 Gewerkschaftlich Aktiven wird nach  Probezeitkündigungen versucht, die eigene Schuld mittels psychologischer Gutachten zuzuweisen, oder politisch aktiven Erwerbslosen wird damit der Berufsabschluss aberkannt.

 

Selbstschutz ist angesagt

Betroffene von ähnlichen Ansinnen der JobCenter sollten sich am besten bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener8 http://www.die-bpe.de/ erkundigen, was es mit psychologischen Untersuchungen, Diagnosen und Behandlungen auf sich hat. Denn häufig steuert die ARGE Leute als „leistungsgemindert“ zwischen 3 – 6 Stunden oder „nicht erwerbsfähig“ aus dem SGB II aus. Sinnvoll ist, sich vor einem Besuch beim ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur vor einer psychologischen Untersuchung sich einer Patientenverfügung (PatVerFü) mit einer Vorsorgevollmacht zu befassen und eine solche auszufüllen. Erklärung und Mustervollmacht stehen unter http://www.patverfue.de/. Eine PatVerFü9 unterbindet die Erstellung psychiatrischer Diagnosen, untersagt Behandlungen gegen den Willen des Betroffenen und stellt klar, welche Behandlung er_sie wünscht und wen er_sie als Vorsorgebevollmächtigten einsetzt. Die PatVerFü muss bei einer Gerichtsverhandlung vom entsprechenden Richter berücksichtigt werden. Nach Ansicht des Werner- Fuss-Zentrums10 verhindert die (ordentlich gemachte) PatVerFü rechtswirksam gerichtliche Anordnungen, seien es Zwangseinweisungen oder -betreuungen, da Richter sich an das Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.200911 halten müssen.

Unwirksam ist die PatVerFü bei Strafverfahren und Zwangsbegutachtungen nach § 126. Nur dadurch können Zwangsbegutachtungen gegen eine existierende PatVerFü erzwungen werden, weil in diesem Fall ein Patt entsteht: Zwei Gesetze widersprechen sich und dann - und nur dann -hat der Richter sozusagen „freie Wahl“, an was er sich halten will. Es handelt sich um eine

(sozusagen garantierte) Verhinderung von zwangspsychiatrischen Handlungsmöglichkeiten. Das

Gericht muss feststellen, ob eine PatVerFü vorliegt. Ist das der Fall, hat es der Richter besonders einfach. Sobald eine PatVerFü vorgelegt werden sollte, kann das Verfahren sofort eingestellt werden. Am besten immer, ein Original der PatVerFü bei sich tragen - noch vor dem Richter wissen Ärzte dann, „was gespielt wird“, und ihnen fällt eine Entscheidung leicht. Eine PatVerFü kann Untersuchung und Diagnose untersagen. Die Untersagungsmöglichkeit einer Untersuchung ist explizit im neuen Gesetz angeführt

(www. patverfue.de/gesetz.html).

 

Verständigung suchen

Als sinnvoll erscheint es außerdem, sich mit qualifizierten Sozialpädagog_innen zum Sinn und Zweck der Maßnahme im speziellen Einzelfall zu unterhalten, um das genaue Ansinnen der Behörde besser durchblicken zu können. Hierzu werden Ansprechpartner_innen empfohlen, die sich als antipsychiatrisch betrachten, und Anlaufstellen bzw. Mitarbeiter_innen empfehlen können, die sich nicht als „Staatsdiener_innen“ betrachten.

 

Beistand mitnehmen

Ist ein Termin bei einem Facharzt für Psychologie, Psychiatrie und/oder Neurologie kurzfristig angesetzt, muss niemand allein zum Amts-Arzt gehen, auch nicht zu diesem. Die Mitnahme eines Beistandes nach § 13 Abs. 4 SGB X ist empfehlenswert. Seinen Namen muss

der Beistand nicht nennen. Es besteht keine Pflicht, aktenkundig zu werden. Eine abschließende Anzahl der Beistände findet sich in der Gesetzesauslegung nicht. Mit Beistand kann u.U. eine Begutachtung mit Diagnose vermieden werden. Auf jeden Fall können aber die Behauptungen des jeweiligen Facharztes über das Verhalten und die Aussagen des Betroffenen mittels des

Beistandsberichtes in sozialrechtlichen Prozessen in Frage gestellt werden. Psychologische Gutachter lehnen meistens einen Beistand ab. Sie berufen sich dabei auf eine Empfehlung eines Fachdienstes. Deshalb ist eine Abwehr einer solchen Begutachtung durch Klärung des Sachverhalts, vorsorglichen Widerspruch an das Fallmanagement oder eine Dringlichkeitsklage beim Sozialgericht unausweichlich. Kommt erst ein amtsärztliches Gutachten zustande, kann guter Rat tatsächlich teuer werden, denn Gegengutachten und u.U. gerichtliches Prozessieren kosten Geld.

 

Was tun?

Nach den schlechten Erfahrungen, die inzwischen Erwerbslose mit Diagnosen und anderen

Folgemaßnahmen gesammelt haben, empfehlen viele, zwar zum Termin zu gehen, aber dort nichts zu sagen. Im Prinzip könnte jede_r auch eine Begutachtung ablehnen/ vermeiden, denn formal gesehen erschien sie_er zum Meldetermin. Allerdings ist hier Vorsicht angesagt, denn

neuerdings wird in den Sperrzeitandrohungen der Arbeitsagentur vermerkt, dass die Mitwirkung bei einer ärztlichen Untersuchung (medizinische und/ oder psychologische) nach § 65 SGB I sich auf A. das Erscheinen und B. die Untersuchung erstreckt. Hier muss taktisch und mit Plan A und Plan B vorher genau überlegt werden, in welcher Art und Weise die 50 Minuten Begutachtung verstreichen sollen und ggfs. welche Papiere des Hausarztes ausgehändigt werden. Sind erst einmal Diagnosen gestellt, kann nur noch nach Akteneinsicht auf die Löschung der Eintragung in den (elektronischen) Akten geklagt werden. Eine PatVerFü mit Vorsorgevollmacht kann auch sowohl zur Arbeitsgentur, zum Fallmanager als auch zum ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur mitgenommen werden. Wird dies jedoch als Ablehnung einer Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit sanktioniert, dann ist Klage vor dem Sozialgericht unausweichlich. Prinzipiell ist es wichtig, Erscheinungen der „Psychiatrisierung von Erwerblosen“ und auch Beschäftigten vor dem Hintergrund der Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich und der Entwicklung von Krankenkassen zu Versicherungskonzernen genauer im Auge zu behalten und grundsätzlicher zu diskutieren.

Um die Dimension solcher Aufforderungen bundesweit abschätzen zu können, bitten wir Euch unter der E-Mail-Adresse: schischimo7 [at] gmx [dot] de

Eure Erfahrungen mit dem Problem zu schildern und entsprechende

Unterlagen mitzusenden. Anliegen des Flugis ist es, einen an Beispielen

belegten Artikel darüber zu verfassen.

V.i.S.d.P.: Runder Tisch gegen Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung,

c/o K. Blume, Heidelbeerweg 5, 12526 Berlin.

1HEGA 04/08 - 20 - Dienstleistungen des PD für die Integrationsfachkräfte in ARGEn / AagAw, Geschäftszeichen: SP II PD – II-1910.2,

Gültig ab:20.04.2008 Gültig bis 31.12.2010 Weisungscharakter: nein unter: http://www.bundesagenturfuerarbeit.de /nn_176696/zentraler-

Content/HEGA-Internet/A10-Fachdienste/Dokument/HEGA-04-2008-VG-Dienstleistungen-PD.html

2.Hey, Hans-Dieter: Wieder arges EDV-Programm in den ARGEn Murksbei Olaf Scholz, in: Neue Rheinische Zeitung, Rubrik: Arbeit und

Soziales unter: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14138

3 Nelli Kemper: Es ist ein rechtsfreier Raum entstanden, in: junge welt,30. 11. 2009

 

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PS:

- Die Homepage der BAG findet Ihr unter der
http://www.bag-plesa.de. Die ALTE Seite unter http://www.bag-shi.de dient als Archiv.

- Anmerkungen und Anregungen zu diesem Rundbrief sowie Beiträge zur Berücksichtigung für die künftigen Rundbriefe bitte per Email an die Herausgeberin, Claudia Kratzsch senden
gittaschalk [at] googlemail [dot] com.


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