Informationen der BAG prekäre Lebenslagen für Mitglieder und  Interessierte

Elektronischer Rundbrief Nr. 11/2010, 21.06.2010
Herausgeber  BAG-Prekäre Lebenslagen – www.bag-plesa.de
c/o Hans-Jürgen Reglitzki
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V.i.S.d.P:  Claudia Kratzsch, Berlin
Der Rundbrief kann abonniert werden unter:
listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/bag-plesa_rundbrief_extra

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Themen:
1.  Vorwort: Hartz IV-Regelsätze
2. Anhörung zur Bemessung der  Regelsätze
3. BSG-Entscheidung-Kinderregelsätze
4.  “Belastungsgerechtigkeit“
5. Tacheles-Rede zur Verleihung des  Regine-Hildebrand-Preises der Stiftung Solidarität

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1.  Vorwort: Hartz IV-Regelsätze

Mit der Entscheidung vom 9. Februar  2010 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, die  Regelsätze für die Leistungen zur Existenzsicherung in einem  transparenten Verfahren neu zu berechnen. Und schließlich plant das  Bundessozialministerium für dieses Jahr eine umfassende Reform weiterer  Regelungen des Existenzsicherungsrechts.

Wir sind offiziell 6,9  Millionen Erwerbslose und einkommensarme Menschen (Tagesspiegel vom  19.6.2010), die Hartz IV beziehen. Unsichere Lebens- und  Arbeitserfahrungen, Destabilisierung sozialer Sicherungssysteme,  Spardiktate machen uns, besonders Migrantinnen und alleinerziehende  Frauen, zu Opfern der augenblicklichen politischen und wirtschaftlichen  Veränderungen. Bislang haben wir Chancen ungenutzt gelassen gemeinsam  unsere Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze zu stellen. Deshalb  sollten wir das Jahr 2010 nutzen das schwindendsüchtige System der  sozialen Absicherung mit unserem spezifischen Interesse nach einer  Erhöhung des Regelsatzes zu begleiten. Wie immer gibt es dazu  verschiedene Wege. So wird die Arbeit vor Ort weiterhin notwendig sein,  ein weitere Ausbau der unabhängigen und parteilichen Beratung, die  Aktionen an Zahltagen und solidarisches Begleiten, Bündnispartner  gewinnen und gemeinsame bundesweite Aktionen der Erwerbslosen. Deshalb  wird in dieser und unserer nächsten Ausgabe der Schwerpunkt auf den  Regelsätzen liegen. Ich hoffe ihr findet dann ausreichend Material und  Anregungen für eure Arbeit. Natürlich werden wir weiterhin über Erfolge  von Gruppen berichten, so die Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises  an Tacheles/Wuppertal.
Falsche Hoffnungen dem Gesetzgeber gegenüber  untergraben die notwendigen eigenen Aktivitäten. Solange wir schön zu  Hause bleiben und unseren Frust nur auf der Computertastatur auslassen,  werden wir kaum etwas bewegen und sicherlich zum 01.01.2011 mit  erheblichen Kürzungen und weiteren Schikanen rechnen müssen.

Claudia  Kratzsch

Arbeitsmaterial/ Warenkorb für die neue Regelleistung/  Januar 2010
http://www.harald-thome.de/media/files/Hausstein-Mindestsicherung-2010.pdf

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2.  Anhörung zur Bemessung der Regelsätze

(Berlin) - Anlässlich der  heute (17. Mai 2010) stattfindenden Anhörung des Arbeits- und  Sozialausschusses zur künftigen Bemessung bedarfsgerechter Regelsätze in  Hartz IV kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband das  intransparente Vorgehen des Bundesarbeitsministeriums. Der Verband  fordert das Ministerium auf, Experten aus Wissenschaft,  Betroffenenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden sowie der Kommunalen  Spitzenverbände umgehend in den weiteren Prozess zur Neuberechnung der  Kinderregelsätze einzubinden.

"Wir brauchen einen transparenten  Diskussionsprozess. Es geht um die Frage, wie wir gewährleisten können,  dass jedes Kind bekommt, was es braucht. Diese Frage kann nicht durch  Ministerialbeamte im stillen Kämmerlein beantwortet werden. Alle  relevanten Akteure und Experten müssen eingebunden werden", so Werner  Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen.

Das  Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Urteil vom Februar enge Fristen  gesetzt. Bis zum 31. Dezember 2010 müsse der Gesetzgeber die Bedarfe  von Kindern hergeleitet und durch entsprechende Leistungen abgedeckt  haben. "Es wäre grob fahrlässig, erst die Auswertung der neuen  Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Herbst abzuwarten. Welche  Leistungen zukünftig in welcher Form zur Verfügung gestellt werden,  darüber müssen wir jetzt diskutieren", fordert Hesse. "Dies betrifft  insbesondere die Frage, wann Geldleistungen und wann Sachleistungen  sinnvoller sind." Wegen der kommunalen Zuständigkeit für die soziale  Infrastruktur seien die Kommunalen Spitzenverbände frühzeitig  einzubinden.

Aus Sicht des Paritätischen ist eine Totalrevision  von Hartz IV unumgänglich. "Die aktuelle Bedarfserhebung lässt jeglichen  gesunden Menschenverstand vermissen und muss vom Kopf auf die Füße  gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den  regierungsamtlichen Manipulationen 'ins Blaue hinein' endgültig einen  Riegel vorgeschoben. Jetzt muss sich die Politik erstmalig ernsthaft mit  der Frage auseinandersetzen, wie man mit Hartz IV auch individuellen  Notlagen gerecht werden kann", so der Sozialrechtsexperte. Die ehrliche,  sachgerechte und transparente Herleitung der Regelsätze wird nach  Ansicht des Verbandes zwangsläufig zu deutlich höheren Regelsätzen  führen. Darüber hinaus sei die Wiedereinführung einmaliger Leistungen  für besondere, atypische Bedarfe zwingend erforderlich. Quelle Der  Paritätische Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e.V.
(Verbandspresse,  17.05.2010 10:24)

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3. PM: Hartz IV  Kinderregelsätze / Entscheidung BSG am 17.06.10

Der 14. Senat des  Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 17. Juni 2010 im Weißenstein-Saal  nach mündlicher Verhandlung über vier Revisionen aus der Grundsicherung  für Arbeitsuchende zu entscheiden.

Bei diesem Rechtsstreit  handelt es sich um das Verfahren, das der erkennende Senat durch  Beschluss vom 27.1.2009 nach Art 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem BVerfG  vorgelegt hat (ursprünglich: B 14/11b AS 9/07 R, vgl. hierzu  Terminvorschau und Terminbericht Nr. 4/09, dort 1.).

Das BVerfG  hat durch Urteil vom 9.2.2010 in dieser Sache entschieden (Az 1 BvL  4/09), der Gesetzgeber habe die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Halbsatz 1  SGB II unzureichend ermittelt; dies wirke sich auch auf das Sozialgeld  für Kinder nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II aus. Darüber hinaus  beruhe die Bemessung des Sozialgeldes für Kinder bis 14 Jahren mit 60%  der Regelleistung für einen alleinstehenden Erwachsenen auf keiner  vertretbaren Methode zur Bestimmung des Existenzminimums eines solchen  Kindes. Der Gesetzgeber sei daher verpflichtet, bis 31.12.2010 eine  Neuregelung zu treffen. Im Übrigen hat es den Rechtsstreit an das BSG  zurückverwiesen. Die Kläger sind nach der Entscheidung des BVerfG der  Auffassung, dass ihnen auch für den streitigen Zeitraum höhere  Regelleistungen zu gewähren seien.

SG Dortmund - S 32 (5, 38) AS  89/05 -
LSG Nordrhein-Westfalen - L 9 AS 57/06 –„

Die  Auffassung der Kläger stützt sich auf den Umstand, dass kein sachlicher  Grund für eine Ungleichbehandlung zwischen Kindern und Erwachsenen  erkennbar ist, weshalb Kindern ein höherer Regelsatz zu gewähren sei, um  staatliche Willkür und damit einen Verstoß gegen Artikel 3 GG  (Willkürverbot) zu vermeiden.

Die Kläger sehen sich durch das  Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestärkt, welches den Gesetzgeber  rügt, gerade nicht von sachlichen Erwägungen ausgegangen zu sein.

Zur  Frage, ob die Kinderregelsätze willkürlich sind, hat das  Bundesverfassungsgericht weder im Urteilstenor noch in den  Urteilsgründen Stellung genommen. Die Vorlagefrage des Verstoßes gegen  Artikel 3 GG ist damit unbeantwortet geblieben; die Frage ist  höchstrichterlich folglich noch nicht entschieden.

Entgegen der  Berichterstattung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die  konkrete Klage nicht durch dieses, sondern durch das Bundessozialgericht  zu entscheiden.

Ohne nähere Begründung und ohne Bezugnahme auf  Artikel 3 GG hat das Bundessozialgericht gegenüber den Klägern die  Klagerücknahme angeregt; aus den dargelegten Gründen bleibt die Klage  aufrecht erhalten. Mitgeteilt durch:

Rechtsanwalt Martin Reucher
Castroper  Hellweg 49
44805 Bochum; e-mail: rechtsanwalt.reucher(at)gmx.de
http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2010&nr=11529

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4.  “Belastungsgerechtigkeit“

Die neueste Worterfindung an der  politischen Front heißt „Belastungsgerechtigkeit“.
Jedenfalls sollen  die Einschnitte eine „soziale Balance“ behalten. Diesen schönen  regierungsseitigen Worten steht die Realität eines Spardiktats  gegenüber, bei dem der soziale Bereich den Löwenanteil der Krisenkosten  übernehmen soll.
Erinnern wir uns: Die Neuverschuldung des Bundes war  notwendig, um die Banken zu retten und um die wirtschaftlichen Folgen  der Zockerkrise abzufedern. Es wurden ja nicht nur die Banken als solche  gerettet, sondern die Forderungen privater, vermögender Haushalte. Nach  den Banken und Vermögende gerettet wurden, ist nun klar, wer die Zeche  zahlen soll. Vorzugsweise solche Gruppen, bei denen die Regierung wenig  Widerstand vermutet. Drastische Einsparungen bei Hartz IV und  Langzeitarbeitslosigkeit und wage Ankündigungen über mögliche Beiträge  von den Banken und der Wirtschaft. Zwischen 2011 und 2014 sind das knapp  30 Milliarden Euro oder 36 Prozent der Kürzungen insgesamt  (Sozialbereich insgesamt 30,3 Milliarden Euro bzw. 37 Prozent).

Das  Signal der Politik für die Familie mit Niedrigeinkommen ist angekommen:  Es gibt erwünschte und sehr viel weniger erwünschte Kinder – nichts  anderes besagt die Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger.  Und wer garantiert, dass die Beiträge der Banken und der Wirtschaft den  Ansturm der Lobbyisten im parlamentarischen Verfahren überstehen werden?  Die Kürzungen bei Hartz IV sind sehr konkret, die Beiträge der Banken  und der Wirtschaft nur sehr pauschal ausgewiesen: Der Verdacht besteht  es handelt sich dabei lediglich um Luftbuchungen.
Die Belastungen der  Bank ist bis jetzt nur ein leeres Versprechen, selbst wenn dieser  Betrag realisiert würde, wäre er gegenüber dem Schaden, den die  Zockerbanken angerichtet haben, lächerlich gering. Offenbar will die  Bundesregierung mit solchen Zahlen die Öffentlichkeit beschwichtigen.  Von einem fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich kann keine Rede sein.

Die  politische Wirkung des Spardiktats der Bundesregierung ist fatal: Der  finanzielle Druck auf Langzeitarbeitslose und Hartz IV-Bezieher steigt  und um das Maß voll zu machen, soll die Förderung von  Langzeitarbeitslosen drastisch zurückgefahren werden. Dies ist kein  Sparprogramm, dies ist eine geplante Rezession für alle die bisher schon  die Hauptlast des Wirtschaftswandels tragen mussten. Nicht jede Krise  ist jedermanns Krise. Diese Bundesregierung lehrt uns, dass diejenigen,  die bisher schon auf der Gewinnerseite waren mit keinem Cent zur Kasse  gebeten werden. Nicht nur das, alle Daten beweisen es: Derzeit wird mehr  Geldvermögen denn je gebildet. Die Schulden des Staates, die zu unseren  Schulden gemacht wurden, sind die Forderungen privater Haushalte. Die  besser Verdienenden, Wohlhabenden und Reichen sind die Gewinner der  Krise.

Dr. Rudolf Martens; Leiter der Forschungsstelle des  Paritätischen Wohlfahrtsverbandes

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5.  Tacheles-Rede zur Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises der Stiftung  Solidarität

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe anwesenden  Gäste,

im Namen des Vereins Tacheles e.V. möchte ich mich ganz  herzlich für die Verleihung des Regine - Hildebrand - Preises bedanken.

Zunächst  möchte ich dazu ein bisschen aus der Geschichte des Vereins erzählen.  Der Verein wurde kurz nach den rassistischen Brandanschlägen von  Solingen und Mölln im Jahr 1992 gegründet. Unser Kernanliegen war damals  – und ist es noch heute –, mit Hilfe eines emanzipatorischen Ansatzes,  wie wir ihn von den sozialen Bewegungen her kennen, Ausgrenzung,  Entwürdigung und zunehmender behördlicher Entrechtung zu begegnen, um  damit Rassismus und andere Formen der Diskriminierung präventiv an den  Wurzeln zu packen.

Ein weiteres Ziel war es, eine  Interessensvertretung von Erwerbslosen und einkommensarmen Menschen zu  etablieren, also eine Art »Gewerkschaft für Erwerbslose und  Bezieher/innen von Sozialleistungen«.

Als drittes Ziel setzten  wir uns, den praktischen Beweis anzutreten, dass man sich  selbstorganisiert gegen die allmächtigen Behörden und Regierenden „da  oben“ zur Wehr setzen kann und zur Wehr setzen muss, und zwar  erfolgreich.

Wenn ich auf die letzten 18 Jahre intensive Arbeit  zurückblicke, stelle ich fest, dass wir bei der Erreichung unserer Ziele  in wichtigen Teiletappen Erfolge für uns verbuchen konnten. Ich stelle  aber auch fest, dass im Laufe der Zeit immer neue Anforderungen und  Herausforderungen auf uns zugekommen sind – doch dazu später.

Die  Anerkennung, die der Verein Tacheles im Bereich der  Erwerbslosenberatung und -interessenvertretung mit der Verleihung des  Regine-Hildebrand-Preises erfährt, wird uns allerdings nicht von allen  Seiten entgegengebracht. Vor allem Sozialverwaltung und Politik haben  hier oft andere Positionen.

Das haben wir auf Landesebene  deutlich vor Augen geführt bekommen, als die Regierung vom  Nordrhein-Westfahlen im Herbst 2008 die Finanzierung von rund 150  Arbeitslosenberatungsstellen und -zentren gestrichen hat.  Arbeitsminister Laumann begründete diesen Schritt damit, dass unnötige  Parallelstrukturen zu den Argen abgeschafft werden sollten. Wäre er  ehrlich gewesen, hätte er „aus dem Weg geschafft“ sagen müssen, denn  vielerorts ist die Hilfe und Unterstützung, die Beratungsstellen  leisten, den Arbeitslosengeld II-Behörden ein Dorn im Auge.

Auf  kommunaler Ebene steht just im nächsten Monat der Vorschlag der  Verwaltung auf Streichung der letzten öffentlichen Gelder an Tacheles -  in Höhe von sage und schreibe 5.200 EUR jährlich - auf der Tagesordnung  des Rates der Stadt Wuppertal.

Als Begründung werden Sparzwänge  angeführt. Doch spart man, indem man Einrichtungen die finanzielle  Grundlage entzieht, und damit ehrenamtliches Engagement verhindert und  wertvolle soziale Infrastruktur zerschlägt? Viele Organisationen, die  vergleichbare Aufgaben leisten, erhalten im Jahr Fördermittel in  sechsstelliger Höhe.

Tacheles e.V. bietet seit über 18 Jahren  eine niederschwellige und umfassende Sozialberatung für alle  Ratsuchenden aus Wuppertal und dem Umland an. Woche für Woche werden ca.  50 Ratsuchende in persönlichen Gesprächen durch den Verein beraten und  bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt. In vielen Fällen handelt  es sich um Existenz bedrohende Problemlagen im Zusammenhang mit dem  Bezug von Sozialleistungen. Der Verein bietet zudem einmal pro Woche  eine Telefonberatung an, die in den dreistündigen Telefonzeiten  pausenlos belegt ist.

Weiterhin steht ein breites  Informationsangebot für Ratsuchende und Rechtsanwender online zur  Verfügung. Das gesamte Internetangebot von Tacheles wird von ca. 7 Mio.  Besuchern im Monat besucht. Daneben führt der Verein eine wöchentliche  Tafelausgabe mit etwa 120 regelmäßigen Besuchern durch. Der Verein  Tacheles ist mit einer Vielzahl von Organisationen auf kommunaler,  landes- und bundespolitischer Ebene vernetzt und steht in einem  intensiven fachbezogenen Austausch und Wissenstransfer.

Dieses  gesamte Aufgabenspektrum wird vom Verein seit Jahren überwiegend  ehrenamtlich ausgeführt. Die Sozialberatung ist beispielsweise so  organisiert, dass der Großteil der Berater/innen diese qualifizierte  Tätigkeit ehrenamtlich neben Beruf und Broterwerb durchführt. Auf solche  Arbeit, die überregional einen erheblichen Zuspruch und Akzeptanz  erfährt, legt das "offizielle Wuppertal" – wie man an der Kürzung sieht –  aber offensichtlich keinen großen Wert. Kritische Stimmen über den  mangelhaften Zustand der Sozialverwaltung sowie Erwerbslose, die sich  erfolgreich vor Gericht gegen die ARGE durchsetzen sind dort nicht  besonders gefragt. Noch vorletzte Woche wurde eine Protestaktion von  Tacheles und anderen Gruppen gegen die Arbeitsbedingungen bei  Ein-Euro-Jobs vom Wuppertaler Oberbürgermeister öffentlich als eine  Aktion von „Kleingeistern“ diffamiert.

Doch die Hoffnung, eines  Teiles des "offiziellen Wuppertals“ uns mit Mittelstreichung mundtot  machen zu können, ist unbegründet. Soviel kann ich schon verraten: Wir  werden unsere Beratungstätigkeit, unsere konsequente  Interessensvertretung weiter fortsetzen können und beabsichtigen auch in  Zukunft kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Nun noch ein paar  Takte zur politischen Gegenwart:
Nach der Einführung der  Hartz-Gesetze und deren ständiger „Fortentwicklung“ seit 2005 steht die  Bundesrepublik erneut vor weiteren gravierenden Kürzungen im  Sozialbereich. Die Bundesregierung bezeichnet diese als ausgewogen und  führte sie mit den markigen Worten „Die Grundpfeiler unserer Zukunft  stärken“ ein.

• Die Zukunft von über 5 Mio. erwerbsfähigen Hartz  IV-Beziehern, für die künftig keine Rentenbeiträge mehr gezahlt werden  sollen, kann sie damit nicht meinen. Sie verlieren neben Ansprüchen auf  Altersrente auch die Absicherung im Falle der Erwerbsunfähigkeit oder  Möglichkeiten einer medizinischen Rehabilitation.

• Die  Bundesregierung will zum Zwecke des Kürzens alle  Eingliederungsleistungen künftig unter den Vorbehalt des Ermessens der  Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit stellen. Das würde bedeuten,  sich bei Hartz IV endgültig vom „Fördern“ zu verabschieden und sich aufs  „Fordern“ zu beschränken.

• Die beabsichtigte Streichung des  Elterngeldes für frischgebackene Eltern im Hartz IV-Bezug ist reiner  Klassenkampf von oben. Damit bringt die Regierungskoalition zum  Ausdruck, dass sie keinen Wert auf „Hartz IV-Kinder“ legt. Die Einbußen  für junge Familien betragen zusammengerechnet 3.600 EUR!

• Der  beabsichtigte Wegfall des ALG II-Zuschlages, der den sarkastischen  Beinamen „Armutsgewöhnungszuschlag“ trägt, wird den Druck auf  Beschäftigte und Arbeitslosengeld I-Beziehende noch erhöhen. Denn wer  nach einem Jahr in der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I  ungebremst auf Hartz IV-Niveau absacken muss, wird vielmals bereitwillig  Lohnkürzungen und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen, nur um den  Sturz in die Armut zu verhindern. Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie  sich Hartz IV auch auf die Beschäftigten auswirkt.

• Auch die  Streichung des Ende 2008 eingeführten Zuschusses für Heizkosten beim  Wohngeld trifft Menschen, die mit ihrem Einkommen nur knapp über der  Hartz IV Grenze liegen. Viele von bekommen nun Wohngeld gekürzt oder  gestrichen und werden nun wieder Hartz IV – Leistungen beantragen  müssen. Die hohen Kosten für Heizenergie – damals Begründung für den  Zuschuss – sind geblieben, aber der Zuschuss entfällt.

Dieses so  genannte „Sparpaket“ ausgewogen zu nennen, ist blanker Zynismus. Aber es  ist wohl noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die Bundesregierung  plant alsbald die Bemessung der Unterkunftskosten für Hartz  IV-Bezieher/innen pauschalieren zu wollen. Auch hinter dem Begriff  „Pauschalierung“ steckt für Berlin enormes Potential zum Kürzen – dieses  Mal bei Mieten und Heizkosten. Und wieder trifft es Erwerbslose,  Alleinerziehende und Niedriglöhner die in diesem Land keine mächtige  Lobby haben. Im Gegensatz zu Banken und Konzernen, Hoteliers und  Besserverdienenden.

Die Alternative? – Belastung der Reichen!  Aber der Spitzensteuersatz wird nicht angehoben. Genauso wenig werden  die Banken als Mitverursacher der Krise zur Kasse gebeten. Die Folgen  der Krise müssen diejenigen zahlen, die sie nicht verursacht haben oder  sogar selbst Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise wurden.

Eine  DIW-Studie von letzter Woche belegt, dass in den vergangenen zehn Jahren  in Deutschland sowohl Armut als auch Reichtum stark zugenommen haben.  In keinem anderen Land Europas bewegt sich die Einkommens- und  Vermögensschere so schnell auseinander wie in Deutschland. Bezieher  mittlerer Einkommen dagegen nehmen nirgendwo so stark ab. Dieser  Umverteilung muss entgegen gewirkt werden. Die Konsequenz, die wir  daraus ziehen: Wer Armut bekämpfen will, muss vor allem hohe Einkommen  und Vermögen stärker belasten!

Wenn aber dieser als „Sparpaket“  getarnte soziale Kahlschlag widerstandslos durchkommt, wird es für eine  Regierung ein Leichtes sein, auch das nächste und übernächste  „Sparpaket“ durchzuwinken.

Hier ist breiter gesellschaftlicher  Widerstand gegen Sozialraub und gegen den neoliberalen Umbau dringend  von Nöten!

Das Motto in diesem Europäischen Jahr gegen Armut und  soziale Ausgrenzung darf nicht heißen „Mit Mut gegen Armut und soziale  Ausgrenzung!", sondern „Mit WUT gegen Armut und soziale Ausgrenzung!“  Und zwar gemeinsam.

Aus dieser Notwendigkeit heraus sehe ich den  Regine-Hildebrand-Preis als Anerkennung, Aufforderung und Ansporn  zugleich, um gemeinsam mit meinen Kollegen/innen die Ziele des Vereins  Tacheles weiter zu verfolgen. Wir werden das Preisgeld zur Stärkung der  Rechtsposition von Sozialleistung beziehenden Menschen nutzen und zum  Aufbau eines solidarischen und sozialen Widerstandes.

In diesem  Sinne bedanke ich mich im Namen des Vereins Tacheles und meiner  Kolleg/innen.

Harald Thomé / Vorsitzender Tacheles e.V. am  18.06.2010
http://www.tacheles-sozialhilfe.de/harry/view.asp?ID=1927

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