Informationen der BAG prekäre Lebenslagen für Mitglieder und Interessierte Elektronischer Rundbrief Nr. 11/2010, 21.06.2010 Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen – www.bag-plesa.de c/o Hans-Jürgen Reglitzki Hauptstr. 16; 49696 Molbergen, Tel.: 04475 – 32 99 828, Mobil: 0162 – 746 46 16 bag-plesa [at] web [dot] de V.i.S.d.P: Claudia Kratzsch, Berlin Der Rundbrief kann abonniert werden unter: listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/bag-plesa_rundbrief_extra ************* Themen: 1. Vorwort: Hartz IV-Regelsätze 2. Anhörung zur Bemessung der Regelsätze 3. BSG-Entscheidung-Kinderregelsätze 4. “Belastungsgerechtigkeit“ 5. Tacheles-Rede zur Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises der Stiftung Solidarität ************* 1. Vorwort: Hartz IV-Regelsätze Mit der Entscheidung vom 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelsätze für die Leistungen zur Existenzsicherung in einem transparenten Verfahren neu zu berechnen. Und schließlich plant das Bundessozialministerium für dieses Jahr eine umfassende Reform weiterer Regelungen des Existenzsicherungsrechts. Wir sind offiziell 6,9 Millionen Erwerbslose und einkommensarme Menschen (Tagesspiegel vom 19.6.2010), die Hartz IV beziehen. Unsichere Lebens- und Arbeitserfahrungen, Destabilisierung sozialer Sicherungssysteme, Spardiktate machen uns, besonders Migrantinnen und alleinerziehende Frauen, zu Opfern der augenblicklichen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen. Bislang haben wir Chancen ungenutzt gelassen gemeinsam unsere Forderung nach einer Erhöhung der Regelsätze zu stellen. Deshalb sollten wir das Jahr 2010 nutzen das schwindendsüchtige System der sozialen Absicherung mit unserem spezifischen Interesse nach einer Erhöhung des Regelsatzes zu begleiten. Wie immer gibt es dazu verschiedene Wege. So wird die Arbeit vor Ort weiterhin notwendig sein, ein weitere Ausbau der unabhängigen und parteilichen Beratung, die Aktionen an Zahltagen und solidarisches Begleiten, Bündnispartner gewinnen und gemeinsame bundesweite Aktionen der Erwerbslosen. Deshalb wird in dieser und unserer nächsten Ausgabe der Schwerpunkt auf den Regelsätzen liegen. Ich hoffe ihr findet dann ausreichend Material und Anregungen für eure Arbeit. Natürlich werden wir weiterhin über Erfolge von Gruppen berichten, so die Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises an Tacheles/Wuppertal. Falsche Hoffnungen dem Gesetzgeber gegenüber untergraben die notwendigen eigenen Aktivitäten. Solange wir schön zu Hause bleiben und unseren Frust nur auf der Computertastatur auslassen, werden wir kaum etwas bewegen und sicherlich zum 01.01.2011 mit erheblichen Kürzungen und weiteren Schikanen rechnen müssen. Claudia Kratzsch Arbeitsmaterial/ Warenkorb für die neue Regelleistung/ Januar 2010 http://www.harald-thome.de/media/files/Hausstein-Mindestsicherung-2010.pdf ************* 2. Anhörung zur Bemessung der Regelsätze (Berlin) - Anlässlich der heute (17. Mai 2010) stattfindenden Anhörung des Arbeits- und Sozialausschusses zur künftigen Bemessung bedarfsgerechter Regelsätze in Hartz IV kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband das intransparente Vorgehen des Bundesarbeitsministeriums. Der Verband fordert das Ministerium auf, Experten aus Wissenschaft, Betroffenenorganisationen, Wohlfahrtsverbänden sowie der Kommunalen Spitzenverbände umgehend in den weiteren Prozess zur Neuberechnung der Kinderregelsätze einzubinden. "Wir brauchen einen transparenten Diskussionsprozess. Es geht um die Frage, wie wir gewährleisten können, dass jedes Kind bekommt, was es braucht. Diese Frage kann nicht durch Ministerialbeamte im stillen Kämmerlein beantwortet werden. Alle relevanten Akteure und Experten müssen eingebunden werden", so Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen. Das Bundesverfassungsgericht habe mit seinem Urteil vom Februar enge Fristen gesetzt. Bis zum 31. Dezember 2010 müsse der Gesetzgeber die Bedarfe von Kindern hergeleitet und durch entsprechende Leistungen abgedeckt haben. "Es wäre grob fahrlässig, erst die Auswertung der neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe im Herbst abzuwarten. Welche Leistungen zukünftig in welcher Form zur Verfügung gestellt werden, darüber müssen wir jetzt diskutieren", fordert Hesse. "Dies betrifft insbesondere die Frage, wann Geldleistungen und wann Sachleistungen sinnvoller sind." Wegen der kommunalen Zuständigkeit für die soziale Infrastruktur seien die Kommunalen Spitzenverbände frühzeitig einzubinden. Aus Sicht des Paritätischen ist eine Totalrevision von Hartz IV unumgänglich. "Die aktuelle Bedarfserhebung lässt jeglichen gesunden Menschenverstand vermissen und muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat den regierungsamtlichen Manipulationen 'ins Blaue hinein' endgültig einen Riegel vorgeschoben. Jetzt muss sich die Politik erstmalig ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie man mit Hartz IV auch individuellen Notlagen gerecht werden kann", so der Sozialrechtsexperte. Die ehrliche, sachgerechte und transparente Herleitung der Regelsätze wird nach Ansicht des Verbandes zwangsläufig zu deutlich höheren Regelsätzen führen. Darüber hinaus sei die Wiedereinführung einmaliger Leistungen für besondere, atypische Bedarfe zwingend erforderlich. Quelle Der Paritätische Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e.V. (Verbandspresse, 17.05.2010 10:24) ************* 3. PM: Hartz IV Kinderregelsätze / Entscheidung BSG am 17.06.10 Der 14. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 17. Juni 2010 im Weißenstein-Saal nach mündlicher Verhandlung über vier Revisionen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu entscheiden. Bei diesem Rechtsstreit handelt es sich um das Verfahren, das der erkennende Senat durch Beschluss vom 27.1.2009 nach Art 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem BVerfG vorgelegt hat (ursprünglich: B 14/11b AS 9/07 R, vgl. hierzu Terminvorschau und Terminbericht Nr. 4/09, dort 1.). Das BVerfG hat durch Urteil vom 9.2.2010 in dieser Sache entschieden (Az 1 BvL 4/09), der Gesetzgeber habe die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB II unzureichend ermittelt; dies wirke sich auch auf das Sozialgeld für Kinder nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II aus. Darüber hinaus beruhe die Bemessung des Sozialgeldes für Kinder bis 14 Jahren mit 60% der Regelleistung für einen alleinstehenden Erwachsenen auf keiner vertretbaren Methode zur Bestimmung des Existenzminimums eines solchen Kindes. Der Gesetzgeber sei daher verpflichtet, bis 31.12.2010 eine Neuregelung zu treffen. Im Übrigen hat es den Rechtsstreit an das BSG zurückverwiesen. Die Kläger sind nach der Entscheidung des BVerfG der Auffassung, dass ihnen auch für den streitigen Zeitraum höhere Regelleistungen zu gewähren seien. SG Dortmund - S 32 (5, 38) AS 89/05 - LSG Nordrhein-Westfalen - L 9 AS 57/06 –„ Die Auffassung der Kläger stützt sich auf den Umstand, dass kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung zwischen Kindern und Erwachsenen erkennbar ist, weshalb Kindern ein höherer Regelsatz zu gewähren sei, um staatliche Willkür und damit einen Verstoß gegen Artikel 3 GG (Willkürverbot) zu vermeiden. Die Kläger sehen sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestärkt, welches den Gesetzgeber rügt, gerade nicht von sachlichen Erwägungen ausgegangen zu sein. Zur Frage, ob die Kinderregelsätze willkürlich sind, hat das Bundesverfassungsgericht weder im Urteilstenor noch in den Urteilsgründen Stellung genommen. Die Vorlagefrage des Verstoßes gegen Artikel 3 GG ist damit unbeantwortet geblieben; die Frage ist höchstrichterlich folglich noch nicht entschieden. Entgegen der Berichterstattung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die konkrete Klage nicht durch dieses, sondern durch das Bundessozialgericht zu entscheiden. Ohne nähere Begründung und ohne Bezugnahme auf Artikel 3 GG hat das Bundessozialgericht gegenüber den Klägern die Klagerücknahme angeregt; aus den dargelegten Gründen bleibt die Klage aufrecht erhalten. Mitgeteilt durch: Rechtsanwalt Martin Reucher Castroper Hellweg 49 44805 Bochum; e-mail: rechtsanwalt.reucher(at)gmx.de http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2010&nr=11529 ************* 4. “Belastungsgerechtigkeit“ Die neueste Worterfindung an der politischen Front heißt „Belastungsgerechtigkeit“. Jedenfalls sollen die Einschnitte eine „soziale Balance“ behalten. Diesen schönen regierungsseitigen Worten steht die Realität eines Spardiktats gegenüber, bei dem der soziale Bereich den Löwenanteil der Krisenkosten übernehmen soll. Erinnern wir uns: Die Neuverschuldung des Bundes war notwendig, um die Banken zu retten und um die wirtschaftlichen Folgen der Zockerkrise abzufedern. Es wurden ja nicht nur die Banken als solche gerettet, sondern die Forderungen privater, vermögender Haushalte. Nach den Banken und Vermögende gerettet wurden, ist nun klar, wer die Zeche zahlen soll. Vorzugsweise solche Gruppen, bei denen die Regierung wenig Widerstand vermutet. Drastische Einsparungen bei Hartz IV und Langzeitarbeitslosigkeit und wage Ankündigungen über mögliche Beiträge von den Banken und der Wirtschaft. Zwischen 2011 und 2014 sind das knapp 30 Milliarden Euro oder 36 Prozent der Kürzungen insgesamt (Sozialbereich insgesamt 30,3 Milliarden Euro bzw. 37 Prozent). Das Signal der Politik für die Familie mit Niedrigeinkommen ist angekommen: Es gibt erwünschte und sehr viel weniger erwünschte Kinder – nichts anderes besagt die Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger. Und wer garantiert, dass die Beiträge der Banken und der Wirtschaft den Ansturm der Lobbyisten im parlamentarischen Verfahren überstehen werden? Die Kürzungen bei Hartz IV sind sehr konkret, die Beiträge der Banken und der Wirtschaft nur sehr pauschal ausgewiesen: Der Verdacht besteht es handelt sich dabei lediglich um Luftbuchungen. Die Belastungen der Bank ist bis jetzt nur ein leeres Versprechen, selbst wenn dieser Betrag realisiert würde, wäre er gegenüber dem Schaden, den die Zockerbanken angerichtet haben, lächerlich gering. Offenbar will die Bundesregierung mit solchen Zahlen die Öffentlichkeit beschwichtigen. Von einem fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich kann keine Rede sein. Die politische Wirkung des Spardiktats der Bundesregierung ist fatal: Der finanzielle Druck auf Langzeitarbeitslose und Hartz IV-Bezieher steigt und um das Maß voll zu machen, soll die Förderung von Langzeitarbeitslosen drastisch zurückgefahren werden. Dies ist kein Sparprogramm, dies ist eine geplante Rezession für alle die bisher schon die Hauptlast des Wirtschaftswandels tragen mussten. Nicht jede Krise ist jedermanns Krise. Diese Bundesregierung lehrt uns, dass diejenigen, die bisher schon auf der Gewinnerseite waren mit keinem Cent zur Kasse gebeten werden. Nicht nur das, alle Daten beweisen es: Derzeit wird mehr Geldvermögen denn je gebildet. Die Schulden des Staates, die zu unseren Schulden gemacht wurden, sind die Forderungen privater Haushalte. Die besser Verdienenden, Wohlhabenden und Reichen sind die Gewinner der Krise. Dr. Rudolf Martens; Leiter der Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ************* 5. Tacheles-Rede zur Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises der Stiftung Solidarität Sehr geehrte Damen und Herren, liebe anwesenden Gäste, im Namen des Vereins Tacheles e.V. möchte ich mich ganz herzlich für die Verleihung des Regine - Hildebrand - Preises bedanken. Zunächst möchte ich dazu ein bisschen aus der Geschichte des Vereins erzählen. Der Verein wurde kurz nach den rassistischen Brandanschlägen von Solingen und Mölln im Jahr 1992 gegründet. Unser Kernanliegen war damals – und ist es noch heute –, mit Hilfe eines emanzipatorischen Ansatzes, wie wir ihn von den sozialen Bewegungen her kennen, Ausgrenzung, Entwürdigung und zunehmender behördlicher Entrechtung zu begegnen, um damit Rassismus und andere Formen der Diskriminierung präventiv an den Wurzeln zu packen. Ein weiteres Ziel war es, eine Interessensvertretung von Erwerbslosen und einkommensarmen Menschen zu etablieren, also eine Art »Gewerkschaft für Erwerbslose und Bezieher/innen von Sozialleistungen«. Als drittes Ziel setzten wir uns, den praktischen Beweis anzutreten, dass man sich selbstorganisiert gegen die allmächtigen Behörden und Regierenden „da oben“ zur Wehr setzen kann und zur Wehr setzen muss, und zwar erfolgreich. Wenn ich auf die letzten 18 Jahre intensive Arbeit zurückblicke, stelle ich fest, dass wir bei der Erreichung unserer Ziele in wichtigen Teiletappen Erfolge für uns verbuchen konnten. Ich stelle aber auch fest, dass im Laufe der Zeit immer neue Anforderungen und Herausforderungen auf uns zugekommen sind – doch dazu später. Die Anerkennung, die der Verein Tacheles im Bereich der Erwerbslosenberatung und -interessenvertretung mit der Verleihung des Regine-Hildebrand-Preises erfährt, wird uns allerdings nicht von allen Seiten entgegengebracht. Vor allem Sozialverwaltung und Politik haben hier oft andere Positionen. Das haben wir auf Landesebene deutlich vor Augen geführt bekommen, als die Regierung vom Nordrhein-Westfahlen im Herbst 2008 die Finanzierung von rund 150 Arbeitslosenberatungsstellen und -zentren gestrichen hat. Arbeitsminister Laumann begründete diesen Schritt damit, dass unnötige Parallelstrukturen zu den Argen abgeschafft werden sollten. Wäre er ehrlich gewesen, hätte er „aus dem Weg geschafft“ sagen müssen, denn vielerorts ist die Hilfe und Unterstützung, die Beratungsstellen leisten, den Arbeitslosengeld II-Behörden ein Dorn im Auge. Auf kommunaler Ebene steht just im nächsten Monat der Vorschlag der Verwaltung auf Streichung der letzten öffentlichen Gelder an Tacheles - in Höhe von sage und schreibe 5.200 EUR jährlich - auf der Tagesordnung des Rates der Stadt Wuppertal. Als Begründung werden Sparzwänge angeführt. Doch spart man, indem man Einrichtungen die finanzielle Grundlage entzieht, und damit ehrenamtliches Engagement verhindert und wertvolle soziale Infrastruktur zerschlägt? Viele Organisationen, die vergleichbare Aufgaben leisten, erhalten im Jahr Fördermittel in sechsstelliger Höhe. Tacheles e.V. bietet seit über 18 Jahren eine niederschwellige und umfassende Sozialberatung für alle Ratsuchenden aus Wuppertal und dem Umland an. Woche für Woche werden ca. 50 Ratsuchende in persönlichen Gesprächen durch den Verein beraten und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt. In vielen Fällen handelt es sich um Existenz bedrohende Problemlagen im Zusammenhang mit dem Bezug von Sozialleistungen. Der Verein bietet zudem einmal pro Woche eine Telefonberatung an, die in den dreistündigen Telefonzeiten pausenlos belegt ist. Weiterhin steht ein breites Informationsangebot für Ratsuchende und Rechtsanwender online zur Verfügung. Das gesamte Internetangebot von Tacheles wird von ca. 7 Mio. Besuchern im Monat besucht. Daneben führt der Verein eine wöchentliche Tafelausgabe mit etwa 120 regelmäßigen Besuchern durch. Der Verein Tacheles ist mit einer Vielzahl von Organisationen auf kommunaler, landes- und bundespolitischer Ebene vernetzt und steht in einem intensiven fachbezogenen Austausch und Wissenstransfer. Dieses gesamte Aufgabenspektrum wird vom Verein seit Jahren überwiegend ehrenamtlich ausgeführt. Die Sozialberatung ist beispielsweise so organisiert, dass der Großteil der Berater/innen diese qualifizierte Tätigkeit ehrenamtlich neben Beruf und Broterwerb durchführt. Auf solche Arbeit, die überregional einen erheblichen Zuspruch und Akzeptanz erfährt, legt das "offizielle Wuppertal" – wie man an der Kürzung sieht – aber offensichtlich keinen großen Wert. Kritische Stimmen über den mangelhaften Zustand der Sozialverwaltung sowie Erwerbslose, die sich erfolgreich vor Gericht gegen die ARGE durchsetzen sind dort nicht besonders gefragt. Noch vorletzte Woche wurde eine Protestaktion von Tacheles und anderen Gruppen gegen die Arbeitsbedingungen bei Ein-Euro-Jobs vom Wuppertaler Oberbürgermeister öffentlich als eine Aktion von „Kleingeistern“ diffamiert. Doch die Hoffnung, eines Teiles des "offiziellen Wuppertals“ uns mit Mittelstreichung mundtot machen zu können, ist unbegründet. Soviel kann ich schon verraten: Wir werden unsere Beratungstätigkeit, unsere konsequente Interessensvertretung weiter fortsetzen können und beabsichtigen auch in Zukunft kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Nun noch ein paar Takte zur politischen Gegenwart: Nach der Einführung der Hartz-Gesetze und deren ständiger „Fortentwicklung“ seit 2005 steht die Bundesrepublik erneut vor weiteren gravierenden Kürzungen im Sozialbereich. Die Bundesregierung bezeichnet diese als ausgewogen und führte sie mit den markigen Worten „Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken“ ein. • Die Zukunft von über 5 Mio. erwerbsfähigen Hartz IV-Beziehern, für die künftig keine Rentenbeiträge mehr gezahlt werden sollen, kann sie damit nicht meinen. Sie verlieren neben Ansprüchen auf Altersrente auch die Absicherung im Falle der Erwerbsunfähigkeit oder Möglichkeiten einer medizinischen Rehabilitation. • Die Bundesregierung will zum Zwecke des Kürzens alle Eingliederungsleistungen künftig unter den Vorbehalt des Ermessens der Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit stellen. Das würde bedeuten, sich bei Hartz IV endgültig vom „Fördern“ zu verabschieden und sich aufs „Fordern“ zu beschränken. • Die beabsichtigte Streichung des Elterngeldes für frischgebackene Eltern im Hartz IV-Bezug ist reiner Klassenkampf von oben. Damit bringt die Regierungskoalition zum Ausdruck, dass sie keinen Wert auf „Hartz IV-Kinder“ legt. Die Einbußen für junge Familien betragen zusammengerechnet 3.600 EUR! • Der beabsichtigte Wegfall des ALG II-Zuschlages, der den sarkastischen Beinamen „Armutsgewöhnungszuschlag“ trägt, wird den Druck auf Beschäftigte und Arbeitslosengeld I-Beziehende noch erhöhen. Denn wer nach einem Jahr in der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I ungebremst auf Hartz IV-Niveau absacken muss, wird vielmals bereitwillig Lohnkürzungen und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen, nur um den Sturz in die Armut zu verhindern. Dies ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Hartz IV auch auf die Beschäftigten auswirkt. • Auch die Streichung des Ende 2008 eingeführten Zuschusses für Heizkosten beim Wohngeld trifft Menschen, die mit ihrem Einkommen nur knapp über der Hartz IV Grenze liegen. Viele von bekommen nun Wohngeld gekürzt oder gestrichen und werden nun wieder Hartz IV – Leistungen beantragen müssen. Die hohen Kosten für Heizenergie – damals Begründung für den Zuschuss – sind geblieben, aber der Zuschuss entfällt. Dieses so genannte „Sparpaket“ ausgewogen zu nennen, ist blanker Zynismus. Aber es ist wohl noch nicht das Ende der Fahnenstange. Die Bundesregierung plant alsbald die Bemessung der Unterkunftskosten für Hartz IV-Bezieher/innen pauschalieren zu wollen. Auch hinter dem Begriff „Pauschalierung“ steckt für Berlin enormes Potential zum Kürzen – dieses Mal bei Mieten und Heizkosten. Und wieder trifft es Erwerbslose, Alleinerziehende und Niedriglöhner die in diesem Land keine mächtige Lobby haben. Im Gegensatz zu Banken und Konzernen, Hoteliers und Besserverdienenden. Die Alternative? – Belastung der Reichen! Aber der Spitzensteuersatz wird nicht angehoben. Genauso wenig werden die Banken als Mitverursacher der Krise zur Kasse gebeten. Die Folgen der Krise müssen diejenigen zahlen, die sie nicht verursacht haben oder sogar selbst Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise wurden. Eine DIW-Studie von letzter Woche belegt, dass in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland sowohl Armut als auch Reichtum stark zugenommen haben. In keinem anderen Land Europas bewegt sich die Einkommens- und Vermögensschere so schnell auseinander wie in Deutschland. Bezieher mittlerer Einkommen dagegen nehmen nirgendwo so stark ab. Dieser Umverteilung muss entgegen gewirkt werden. Die Konsequenz, die wir daraus ziehen: Wer Armut bekämpfen will, muss vor allem hohe Einkommen und Vermögen stärker belasten! Wenn aber dieser als „Sparpaket“ getarnte soziale Kahlschlag widerstandslos durchkommt, wird es für eine Regierung ein Leichtes sein, auch das nächste und übernächste „Sparpaket“ durchzuwinken. Hier ist breiter gesellschaftlicher Widerstand gegen Sozialraub und gegen den neoliberalen Umbau dringend von Nöten! Das Motto in diesem Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung darf nicht heißen „Mit Mut gegen Armut und soziale Ausgrenzung!", sondern „Mit WUT gegen Armut und soziale Ausgrenzung!“ Und zwar gemeinsam. Aus dieser Notwendigkeit heraus sehe ich den Regine-Hildebrand-Preis als Anerkennung, Aufforderung und Ansporn zugleich, um gemeinsam mit meinen Kollegen/innen die Ziele des Vereins Tacheles weiter zu verfolgen. Wir werden das Preisgeld zur Stärkung der Rechtsposition von Sozialleistung beziehenden Menschen nutzen und zum Aufbau eines solidarischen und sozialen Widerstandes. In diesem Sinne bedanke ich mich im Namen des Vereins Tacheles und meiner Kolleg/innen. Harald Thomé / Vorsitzender Tacheles e.V. am 18.06.2010 http://www.tacheles-sozialhilfe.de/harry/view.asp?ID=1927 ************* Der Rundbrief kann abonniert werden unter: listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/bag-plesa_rundbrief_extra _______________________________________________ bag-plesa_rundbrief_extra Mailingliste JPBerlin - Politischer Provider bag-plesa_rundbrief_extra@listi.jpberlin.de https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/bag-plesa_rundbrief_extra |