05.06.2024
Rundbrief Nr. 78/2024
Bezahlkarte für Asylsuchende - was ist das und was soll das ?
(gekürzte Fassung, abrufbar unter https://bag-plesa.de/rundbrief/2024/rundbrief-extra-2024-78.pdf)
Asylsuchende sind unter Verdacht geraten: Viele von ihnen sollen das Geld, das sie vom Sozialamt für ihren Lebensunterhalt erhalten – alleinstehende Personen rund 460 € monatlich - an Familienangehörige ins Ausland oder gar an Schlepper überwiesen haben. Und diese Möglichkeit ist nach Ansicht rechtspopulistischer Politiker auch ein großer Anreiz, nach Deutschland einzuwandern.
Bewiesen ist das alles nicht. Aber es sind – neben dem Argument der Verwaltungsvereinfachung - die Begründungen, mit der die Ampelkoalition (SPD, FDP und GRÜNE) zusammen mit der AfD im April dieses Jahres einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zustimmte. Danach können die Leistungen für alle Asylsuchenden nunmehr in Form einer Bezahlkarte erbracht werden - anstatt als Geldleistung auf ein Girokonto oder als Bargeld.
(……………………)...
Gleichwohl haben sich die Länder bereits auf die europaweite Ausschreibung für eine Bezahlkarte mit folgenden Vorgaben geeinigt:
Keine Überweisung im Inland oder ins Ausland und keine Karte-zu-Karte-Überweisung
Bargeldabhebung nur im Inland über einen vorher festgelegten Betrag (50 oder 70 Euro)
Nutzungsmöglichkeit nur in einer bestimmten Region
Möglichkeit des Ausschlusses bestimmter Händlergruppen/Branchen
(………………………)
Diskriminierung und Ausgrenzung Geflüchteter
Da die Gemeinden bisher viel Freiheit bei der Gestaltung der Karten haben, ist die Schikane derzeit von Ort zu Ort unterschiedlich. Hamburg beispielsweise begrenzt das Abheben von Bargeld auf 50 Euro im Monat. In Greiz (Thüringen) kann die Karte nur innerhalb der Stadt genutzt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Bundesland bestimmt, in welchen Läden und/oder welche Produkte man mit der Karte bezahlen kann – technisch möglich wird das sein.
(........….............)
Mit solchen Vorgaben leistet die Bezahlkarte der Diskriminierung und Ausgrenzung von Asylsuchenden in unserer Gesellschaft weiter Vorschub. Die Karte schränkt ihre Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit sowie ihre Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben „ganz normal“ teilzunehmen, erheblich ein.
Die freie Verfügung über das wenige gewährte Geld ist aber ein wesentlicher Aspekt menschenwürdiger sozialer Leistungen, der nicht für Menschen einer bestimmten gesellschaftliche Gruppe eingeschränkt werden darf. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht 2012 geurteilt, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Erwägungen relativiert werden darf.
Ausweitung auf Bürgergeld und andere Sozialleistungen
Man könnte die Bezahlkarte für Asylsuchende allein als rechtspopulistische Symbolpolitik ansehen, doch das erfasst die Sache nicht ganz. Die neuen Regelungen zur Bezahlkarte für Asylsuchende wurden zusammen mit einem Datenübermittlungsgesetz2 vom Bundestag verabschiedet. Dabei geht es um die Ausweitung der Digitalisierung bei den Ausländer- und den Sozialbehörden. Das Gesetz regelt insbesondere die Zusammenführung der Daten von 26 Mill. Ausländern im Ausländerzentralregister (AZR) mit denen der Sozialbehörden.
Vor diesem Hintergrund kann man die Bezahlkarte durchaus auch als Vorläufer einer neuen Form der Steuerung und Überwachung im sozialen Bereich sehen, als einen Testlauf zunächst zulasten der Gruppe der Asylsuchenden, die derzeit die schwächste Lobby im Bundestag hat.
Über die weitere Ausbreitung auf andere Gruppen wird bereits diskutiert: Abgeordnete von Union und FDP fordern bereits, die Bezahlkarte auch beim Bürgergeld einzuführen.
Und bei der geplanten Kindergrundsicherung ist vorgesehen, dass die Familienkassen die Daten der kindergeldberechtigten Kinder nebst Eltern mit denen der Finanzämter und der Rentenversicherung abgleichen.
Digitalisierung und Überwachung
Bei den Bezahlkarten für Asylsuchende werden die Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung der Verwaltungsbehörden deutlich sichtbar.
Im Alltag schränkt die Karte die Entscheidungs- und die Bewegungsfreiheit der Asylsuchenden sehr weit ein. Auf Verwaltungsebene ermöglicht sie die Steuerung und Überwachung, beispielsweise wenn eine Behörden wissen will, ob sich ein Asylant in der ihm zugewiesenen Region aufhält. Anders als beim Bargeld ist über eine persönliche Bezahlkarte jederzeit nachvollziehbar, wo und was eingekauft wurde.
Darüber hinaus beinhalten die Bezahlkarten ein Sicherheitsrisiko für die Betroffenen, denn sie weisen laut IT-Spezialisten erhebliche Sicherheitslücken3 auf, mit denen die Karten gehackt werden können. Zudem können in den Karten Apps mit Trackern installiert werden, die ohne Einwilligung der Nutzer Daten für Persönlichkeitsprofile an Google, Facebock oder Dritte übermitteln. Das ist besonders für Asylsuchende, die in ihrer Heimat politisch verfolgt wurden, sehr brisant - einfacher kann man es den Geheimdiensten ihrer Herkunftsländer kaum machen.
(………………)
Asylsuchende müssen daher auch in Zukunft die Wahl haben zwischen Bargeld und digitalem Bezahlen - ebenso wie alle anderen Bürger*innen auch.
Um solche Wahlmöglichkeiten zu erhalten, fordert der Verein Digitalcourage e.V. den Bundestag mit einer Petition auf, das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang in Art. 3 Grundgesetz aufzunehmen.(https://digitalcourage.de/recht-auf-leben-ohne-digitalzwang)
Denn unabhängig von der Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende widerspricht der Zwang zur Nutzung digitaler Dienste den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates.
BAG Prekäre Lebenslagen /BAG Prekär, im Mai 2024
Fussnoten:
1
Die Leistungserbringung mittels Bezahlkarte wird auch im
Analogleistungsbezug
(§ 3 Abs. 3 AsylbLG) ermöglicht. Der Vorrang der Geldleistung
wurde aufgehoben
2 Gesetz zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht (DÜV-AnpassG) vom 12.4.2024 zum Ausbau des Ausländerzentralregister (AZR) als zentrales Ausländerdateisystem und Speicherort auch für Daten der Sozialbehörden - mittels automatisierter Datenübermittlung und -abgleich zwischen AZR und Ausländer-, Sozial- und Jugendämtern sowie Bundesagentur für Arbeit und Jobcentern. Weitere Sozialbehörden (z.B. Krankenkassen) sollen hinzukommen. Veranschlagte Kosten: 20.731.000 Euro (BT-Drs. 20-11006 vom 11.4.2024).