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Elektronischer Rundbrief Nr. 55/2012, 15.04.2012
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen - www.bag-plesa.de
c/o Michael Wengorz - Str. der Befreiung 14 - 06128 Halle
vorstand (at) bag-plesa.de
Tel.: 0345 / 44 56 150, mobil: 0177 - 38 71 430

V.i.S.d.P.: Michael Wengorz

Der Rundbrief kann abonniert werden unter:
https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/bag-plesa_rundbrief_extra
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen - www.bag-plesa.de

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Vorwort:
Wieder einmal organisierte die Berliner Kampagne gegen Hartz IV eine ermutigende und anregende Veranstaltung. Diesmal war Ralph Boes (Ralph ist aktiv in der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen) eingeladen. Er hielt am 13.4. einen Vortrag auf dem gut besuchten Plenum. Es kamen Menschen nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Wittenberge und Frankfurt am Main. Die Debatte war lebhaft. Ob auch eventuell anwesende Vertreter des Jobcenters etwas gelernt haben bleibt zweifelhaft. Immer am Abgrund lang, die Angst die Post zu öffnen, das Grauen vor der nächsten Vorladung, das gravierende Gefühl der Verlassenheit und immer den Extremfall vor Augen - die Sanktion, die materielle Verelendung. Das ist die Bilanz von Erfahrungen der seelischen Gefangenschaft vieler Anwesender, aus dem Universum des Nicht-Rechts, den Jobcentern.
Der gemeinsame Wille, diese Lähmung kollektiv abzuwerfen, ein solidarisches Erstarken in aktiven Gegenstrategien zu entwickeln, dass mündete in der Verabredung zu einer AG Eingliederungsvereinbarung. Viele gingen viele beschwingt und ermutigt nach Hause.

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1. „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ – Kann der „Brandbrief eines entschiedenen Bürgers“ an den Hartz-IV-Sanktionen rütteln?

Im Juni 2011 hat Ralph Boes (selbst Hartz-IV-Bezieher) in seinem – inzwischen bundesweit sehr beachteten – „Brandbrief“ öffentlich seine Weigerung bekannt gegeben, ein ihm „unsinnig erscheinendes Arbeitsangebot anzunehmen und unsinnige, vom Amt (ihm) auferlegte Regeln zu befolgen.“
Seither provoziert er das JobCenter auf allen Kanälen. Er ist Vollzeit ehrenamtlich tätig, verweigert die Aufnahme von Erwerbsarbeit und fordert in vollem Umfang seine Grundrechte ein, da er sich als IMMER vollwertiges Mitglied der Gesellschaft versteht, d. h.: die Grundrechte gelten für JEDE/N – unabhängig davon, was sie oder er tut.
Sogar eine eigene Eingliederungsvereinbarung hat er formuliert und sie – bis heute unwidersprochen – dem JobCenter gegenüber für gültig erklärt.
Er ist bis heute nicht sanktioniert worden. Das JobCenter lässt alle nur denkbaren Freiheiten zu; ein Beispiel: er meldet sich zu Vortragsreisen nicht beim JobCenter ab und verstößt damit bewusst gegen das Gebot, Ortsabwesenheit erst beantragen zu müssen.
Hat Ralph das JobCenter „im Griff“? Und wenn ja, worin äußert sich das? Und was sind die Gründe dafür?
Können seine Argumente auch für andere Menschen hilfreich sein?
Wo liegen vor allem für andere „Anwender“ dieser Vorgehensweise mögliche Gefahren?
Bleibt die scheinbar entgegenkommende, bislang nicht repressive Reaktion des JobCenters auf seinen Fall beschränkt? Oder kann sein bisher besonderer (Einzel-) Fall zum (erfreulichen) Präzedenzfall werden?
Der Brandbrief mit allen weiteren Dokumenten ist hier zu finden:
http://www.grundrechte-brandbrief.de/
Dort gibt es auch einen inzwischen sehr stark beachteten Film zum Thema.

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2. Wir haben Zeit - Internationaler Tag der Arbeitslosen, 2. Mai - 13.00Uhr am Senefelder Platz/Berlin

Auch in diesem Jahr findet natürlich wieder die allseits beliebte Demonstration am internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen statt. Auch diesmal demonstrieren wir wieder gegen den Zwang zur Lohnarbeit, gegen sinnentfremdete Arbeit, gegen sinnlose Produkte, die die Menschen in die Konsumsucht und damit in die unterbezahlte Lohnarbeit treiben. Wir, das ist ein Netzwerk aus Bündnispartnern die sich durch ihre reflexiv-kritische Haltung gegenüber Arbeit, Kapitalismus und System einen. Diesmal sind wir gewillt die 1000 Teilnehmer-Marke zu knacken.

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3. „Das Recht des Menschen auf Leben geht jeder Pflicht zu einer Gegenleistung voraus

Das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt folgt aus der wechselseitigen Anerkennung der menschlichen Würde und eben nicht der Beteiligung an einer Gegenleistung."
Prof. Dr. Franz Segbers, www.sanktionsmoratorium.de

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4. Hilfe von einer UN-Kommission?

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kritisiert heftig das Sozialsystem in Deutschland und fordert Deutschland auf, "die Menschenrechte in die Durchführung des Armutsbekämpfungsprogramms einzubeziehen".
http://www.tagesschau.de/inland/ruegedeutschland102.html

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5. DER HARTZ-IV-STRAFVOLLZUG - Die Verschärfung der Sozialhaft heißt Sanktion

Autor: Ulrich Gellermann, 13. April 2012
Was hat er verbrochen, der Mensch, dem man kein Kino gewährt, keine Kneipe, keine Urlaubsfahrt? Der Hartz-Vier-Häftling, der bei 374 Euro monatlich zwar nicht bei Wasser und Brot in seinem Zimmer einsitzt aber auf die Schnäppchen-Jagd zwischen Aldi und Penny verpflichtet ist? Er war, er ist nicht marktgerecht. Man kann ihn gerade nicht brauchen. Nicht als Verkäuferin bei Schlecker. Nicht als Angestellten bei Vattenfall. Nicht bei Nokia-Siemens, nicht beim Heidelberger Druckmaschinen-Unternehmen und auch bald nicht mehr bei Opel. Und weil der Markt, der Gott der Zinsen und der Börsen, den Menschen unbrauchbar findet, kommt er in den Hartz-Sozial-Knast. Sicher, er hat immer wieder Frei-Gang. Das ist wörtlich zu nehmen: Er geht zu Fuß, Geld für eine Bus- oder U-Bahnfahrt hat er zumeist nicht. Aber immerhin, wenn er auf dem Frei-Gang genug Mülltonnen findet, aus denen er Pfandflaschen angeln kann, reicht es vielleicht mal wieder für ein Bier im Stehen.

Das Wachpersonal in den Job-Centern, bei den Beschließern der ARGE, den Wächtern der Sozialstaatlichkeit, kennt seine Dienst-Vorgaben: Wie, der Kerl hat in den letzten Monaten nicht seine Quote an Bewerbungen erfüllt? Zwar wissen beide, der Inhaftierte und der Wärter, dass die Bewerbungen in ein düsteres Blau geschrieben werden, dass sie mehrheitlich in eine Arbeitsplatzleere treffen, gleich was die Statistiken verklären und die Zeitungen verwursten, aber: Vorschrift ist Vorschrift. Auch wenn man dem Insassen zum wiederholten Mal einen Kurs für eine vollends überflüssige und sinnlose Qualifizierung verordnete und er geht mal nicht hin: Das führt zur Strafverschärfung.
Denn auch das Personal kann bestraft werden, es hat nicht selten Zeitverträge und wer nicht pariert, der kann morgen schon auf der anderen Seite stehen, mit den Inhaftierten im Wettbewerb um die meisten Pfandflaschen.

Da jault sie auf, die Öffentlichkeit, die Freiheit total gut findet, auch wenn es die von Arbeit ist. Da schäumen sie, die gut bezahlten Redakteure in Zeitung und Anstalt, die ahnen: Auch sie könnten bei Hartz IV einsitzen wenn sie denn nicht parieren. Da empört sich der noch angestellte Bürger: Wie, auf meine Kosten macht sich der Sozialschmarotzer einen schönen Lenz? Nimmt einen Termin auf dem Amt nicht wahr, nur weil er weiß, da kommt kein Job bei raus? Hat eine Maßnahme nicht eingehalten, nur weil er zwischendurch krank war? Hat einen Ein-Euro-Job abgelehnt weil er ihn für völlig sinnlos hielt?
Hah, fast eine Million solcher Sozialbetrüger waren es im letzten Jahr und ich, ich schufte mir den Buckel krumm und der sitzt gemütlich in Einzelhaft, denn wer will schon mit so einem reden, und der frisst nicht nur Brot vom Vortag und Gemüse vom Müll ohne Ende sondern auch noch den Staatshaushalt auf? Na, warte!

Und wirklich, der Sozial-Vollzug reagiert mit "Sanktionen", das Wort kommt aus dem Lateinischen und heißt Heilung, und die Schmarotzer-Krankheit soll damit geheilt werden. Im Schnitt, so verkündet die Gefängnisdirektion, auch Bundesagentur für Arbeit genannt, musste die knappe Million zusätzlich straffälliger Straftäter - erstfällig als Marktversager, dann fällig als Amtsverweigerer - mit 115,99 Euro pro Monat weniger bestraft werden.
Denn wenn ein Langzeittäter, einer, der auf dem Markt schon lange als unnütz angesehen wird, also ein Verbrechen gegen das Kapital verübt hat, wenn er nur noch ein Drittel seiner Vollzugsbeihilfe bekommt, dann wird der sofort mobiler, geht in das Job-Center und bekommt dort zwar keinen Arbeitsplatz, kann aber im Gespräch mit seinem Wärter auf den Weg zu Zucht und Ordnung geführt werden. So findet der Mensch auf Dauer nicht nur Heilung, sondern lernt auch die Heiligkeit des Marktes kennen: Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Das bisschen täglich Brot, was so ein Inhaftierter braucht, das kann er auch ohne Geld kriegen: Betteln schändet nicht so sehr wie der Missbrauch staatlicher Gelder, die zur Zeit ohnehin dringend für die Hüter des Kapital-Grals gebraucht werden, die Banken.
http://www.rationalgalerie.de/

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6. Die Würde des Menschen ist unantastbar

(oder: Wie in Frankreich das deutsche Grundgesetz beachtet wird …)
Beschäftigte von Jobcentern in Frankreich erklären sich mit den Arbeitssuchenden solidarisch, verweigern Zwangsmaßnahmen gegen sie und weigern sich, "soziale Polizei zu sein, angewiesen zur Unterdrückung“...

Erklärung zur beruflichen und bürgerlichen Ethik von Sud ANPE (Gewerkschaft in der Agentur für Arbeit in Frankreich)
„Unsere Aufgabe ist es vor allem, den Arbeitsuchenden zu helfen, eine Beschäftigung zu finden und das erwarten die Arbeitsuchenden von uns. Aber es gibt einfach keine Arbeit für alle. Die Zunahme von Gesprächen, die ständigen Aufforderungen zum Besuch der Agentur wird keine Arbeit schaffen, sondern erhöhen nur das Risiko für die Arbeitsuchenden, gezwungen, schikaniert und abgestraft zu werden.

Wir, die Beschäftigten der ANPE, erklären, dass wir auf keine Weise Menschen schaden wollen, die schon durch den Verlust der Beschäftigung und des Einkommens verletzt sind.

Wir verweigern uns, sie auszugrenzen und wir werden keine Streichungen mehr durchführen, ohne vorher die moralischen und menschlichen Folgen mit zu beachten. Wir schlagen Angebote vor, wir zwingen aber Angebote nicht auf. Wir werden die Arbeitsuchenden nicht zwangsweise in Denkschubladen staatlicher Vorgaben stecken. Wir erpressen sie auch nicht mit Streichung. Wir verweigern uns auch, der Wut der Arbeitsuchenden ausgesetzt zu werden. Wir verweigern uns, eine soziale Polizei zu sein, angewiesen zur Unterdrückung, anstatt als öffentlicher Ratgeber für Beschäftigung agieren zu können.

Weder Arbeitsuchende noch Beschäftigte der ANPE sind verantwortlich für den Zustand des Arbeitsmarktes und für die wachsende Prekarisierung. Wir sind mit den Arbeitsuchenden solidarisch.
Wir weigern uns, falsche Zahlen, unlautere Angebote und leere Unterhaltungen zu produzieren und wir werden unsere beruflichen Praktiken dazu einsetzen, den Nutzern unserer Dienste zu helfen, im vollen Respekt ihrer bürgerlichen Rechte."

Die Beschäftigten der ANPE aus Tarn sind gewerkschaftlich organisiert bei SUD
Quelle: http://www.die-keas.org/node/465