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http://www.bag-plesa.de/rundbrief/2011/rundbrief-extra-2011-39.pdf

Elektronischer Rundbrief Nr. 39/2011, 10.03.2011
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen - www.bag-plesa.de
c/o Michael Wengorz - Str. der Befreiung 14 - 06128 Halle

vorstand [at] bag-plesa [dot] de
Tel.: 0345 / 44 56 150, mobil: 0177 - 38 71 430

V.i.S.d.P.: Claudia Kratzsch, Berlin

Der Rundbrief kann abonniert werden unter:
https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/bag-plesa_rundbrief_extra
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen - www.bag-plesa.de


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Vielen Dank an diejenigen, die beachtenswerte Meldungen für alle zur Verfügung gestellt haben.

Michael und Claudia

Inhalt:

Veranstaltungshinweis 10.3.2011 17.30 Uhr in Bochum
Bochum-prekär: kurze Übersicht über die anstehenden Verschärfungen
Bildungspakt ab 01.01.2011 - Schnell Anträge stellen und Nachzahlung sichern!
Bürgerarbeit: Wie weiter? vom März 2011

Veranstaltungshinweis 10.3.2011 17.30 Uhr in Bochum
Zur Erinnerung: am Do., 10.03., 17.30 spricht Martin Künkler von KOS (www.erwerbslos.de) in Bochum bei ver.di zum Thema menschenwürdiges Existenzminimum.
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Bochum-prekär

Bochumer Arbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen - Mitglied bei BAG Prekäre Lebenslagen
Solidarische Beratung und Begleitung für Mitglieder ? Aktion und politische Intervention
Kurze Übersicht über die anstehenden Verschärfungen bei Hartz IV

Der Rechtsweg ist ein Holzweg: immer wenn die Betroffenen juristisch Erfolge zu verzeichnen haben, wird das Gesetz der Realität und den Repressionswünschen angepasst. Unter anderem deshalb wurde das SGB II in der Vergangenheit bereits 51-mal geändert.

Ziel: Systematische Bedarfsunterdeckung


1. Sanktionen: Kürzungen unter das Existenzminimum werden erleichtert. Eine vorherige Androhung ist nicht mehr erforderlich. Verstöße gegen per Verwaltungsakt auferlegte Pflichten können nun sanktioniert werden. Auch schlechtes Verhalten ist sanktionierbar. Sanktionen müssen nicht mehr umgehend verhängt werden, sondern in einem Zeitraum von bis zu Monaten nach Verstoß (§ 31 I 1). Kürzungen von mehr als 100 % sind möglich, auch in Zusammenhang mit Darlehenstilgungen.

2. Darlehen, auch bereitgestellte Mietkautionen, werden mit 10 Prozent des Regelbedarfs getilgt (bislang max. 10 %; Kautionen wurden bislang gar nicht getilgt, sondern bei einer Beendigung des Mietverhältnisses zurückgezahlt). Darlehen können an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, auch die Kinder, gemeinsam gewährt werden. Zur Darlehenstilgung werden sie dann gesamtschuldnerisch herangezogen. Dadurch entsteht über Jahre eine Bedarfsunterdeckung. Darlehen werden nun überhaupt nur gewährt, wenn alle Rücklagen, auch für notwendige Anschaffungen, aufgebraucht sind (§ 42a).

3. vorläufige Zahlungseinstellung: bei Vermutung von zu erwartendem anrechenbaren Einkommen kann die Leistung sofort gekürzt/ eingestellt werden (§ 39 II Z. 4).

4. Überzahlungen der Vergangenheit können sofort mit 10 bis 30 % des Regelbedarfs einbehalten werden. Bislang musste das erst nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit erstattet werden, wenn kein schuldhaftes oder grob fahrlässiges Verhalten vorlag. Dadurch kann eine erhebliche Bedarfsunterdeckung entstehen (§ 43 I).

5. Pflicht zur Rücklagenbildung: ALG II und Sozialgeld enthalten einen Anteil für Anschaffungen (Hausrat, Waschmaschine, Herd ...) iHv derzeit 52 Euro (Single). Wird das nicht für solche Fälle zurückgelegt, kann das einbehalten werden (§ 20 I 4 iVm § 24 II).

6. Mietgrenzen: die Wohnungskosten werden im Wesentlichen von den Kommunen getragen. Bislang galt hier die Rechtsprechung des BSG. In Zukunft können die Kommunen durch eigene Satzung die Kosten deckeln (§ 22a+b). Zu befürchten ist eine Festlegung „nach Kassenlage“, und die ist bekanntlich schlecht. Fehlbeträge müssen aus dem Regelbedarf gedeckt werden. Verbesserung: auch nicht notwendige Umzüge können nun genehmigt werden (Begründung zu § 22 IV 2).

7. Leistungsnachzahlungen aus Überprüfungen unrechtmäßiger Bescheide der Vergangenheit: bislang konnte vier Jahre rückwirkend überprüft werden, jetzt nur noch ein Jahr (+ jeweils das bereits angefangene Jahr - § 40 I2).

8. generelle Antragserfordernis (§ 37 I+II): bislang wurden einmalige Beihilfen (z.B. Wohnungserstausstattung, Schwangerschaft, Geburt, jetzt auch therapeutische Schuhe und Geräte (§ 24 III), Klassenfahrten und jetzt auch Schulausflüge, Schülerbeförderung, Nachhilfe, Mittagessen, Sport und Kunst (§ 28 I + VI-VII), bei Kenntnis der Behörde automatisch gewährt. Hier besteht nun Antragserfordernis, es wird nicht rückwirkend geleistet, das Geld fehlt dann. (Ausnahme: das Schulbedarfsgeld 70 Euro, 1- Hj. und 30 Euro, 2. Hj. wird automatisch gezahlt - § 28 III). Anträge können formlos gestellt werden. Eine Empfangsbestätigung ist wichtig. Genehmigungen der Behörde haben nur in Schriftform Gültigkeit.

Weitere finanzielle Härten:

9. „Armutsgewöhnungszuschlag“ entfällt: wurde bislang beim Übergang vom ALG I ins ALG II gewährt (Single max. 160 Euro im 1. Jahr und 80 Euro im zweiten Jahr).

10. Elterngeld: bislang anrechnungsfrei; wird nun idR komplett angerechnet. (Beides bereits im „Haushaltsbegleitgesetz aus 11/2011 geregelt)

11. Die Honorierung für Tagesmütter und –väter ist nicht mehr anrechnungsfrei, sondern wird in Zukunft voll angerechnet (abzüglich der Kosten – § 11 III 2).

12. Das sog. „Pflegekindererziehungsgeld“ wird in Zukunft in höherem Maße angerechnet (§ 11 III 2).

13. Aufwandsersatz für Ehrenamt, politisches Amt und für in Sportvereine und Volkshochschulen nebenberuflich Unterrichtende wird zwar in begrenzter Höhe (175 Euro mtl.) nicht angerechnet, der Grundfreibetrag iHv 100 Euro monatlich bei Erwerbstätigkeit entfällt dann aber in Zukunft (11b II 3).

14. Rentenbeiträge werden nicht mehr gezahlt. Das schadet zwar weniger den Einzelnen, fehlt aber in der Rentenkasse. Hierdurch und durch die extrem niedrigen Krankenkassenbeiträge werden Kosten der Arbeitslosigkeit den Sozialkassen aufgebürdet. Zuschüsse zur Altersvorsorge für nicht Versicherungspflichtige werden ebenfalls gestrichen.

15. Der Krankenversicherungsschutz fällt weg, wenn Auszubildende ohne ALG II-Anspruch Mehrbedarfe und Wohnungskostenzuschuss erhalten (§ 27 I).

16. Behinderte „Kinder“ ab dem 25 Lj. im Haushalt der Eltern erhalten willkürlich nur noch 80 % der Regelleistung.

Sonstiges:

17. Hausarrest für alle: entgegen der bisherigen Regelung dürfen Schulkinder ab dem 15. Lj. und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nicht mehr entsprechend der Ferien- oder tariflichen Urlaubsregelung ortsabwesend sein, sondern „ohne wichtigen Grund“ wie alle anderen maximal drei Wochen (7 IVa).

Verbesserungen:

1. „Leistungsberechtigte“: So heißen jetzt die ehemals „hilfebedürftig“ genannten. Sie werden aber weiterhin „Als Kunde bezeichnet, als Bettler behandelt“ (so der Titel eines Buches von Wolfgang Gern und Franz Segbers, Diakonie Hessen-Nassau). Zum Trost wurde in § 1 folgender Satz neu eingefügt. „Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.“

2. fünf Euro zusätzlich: die sind längst von der Inflation aufgefressen, von den immer untergedeckten Stromkosten in der Regelleistung ganz zu schweigen. Warmwasser iHv 8,40 Euro (Single) wird nun zusätzlich gezahlt, weil sie das in der Ermittlung der Regelleistung „vergessen“ haben. Der Kinderbedarf wurde immer noch nicht direkt ermittelt, sondern aus der Differenz zwischen den Ausgaben einer Familie mit Kindern und einer Familie ohne Kinder orakelt.

3. Bildungspäckchen: für die Kinder gibt es neu immerhin das Mittagessen (bis auf einen Euro), die Schulausflüge, mit Kampf vielleicht auch Nachhilfe, und zehn Euro monatlich für Sport, Kunst, Kultur und Geselligkeit. Diese und weitere Leistungen stehen bei rechtzeitigem Antrag auch Kindern zu, deren Eltern Kinderzuschlag und/oder Wohngeld erhalten (§ 6b KiGG).

4. Erwerbstätige, die zwar sich selbst ernähren können, nicht aber die ganze Familie, müssen sich nun nicht mehr den gesamten Zwängen der Hartz IV - Behörde unterwerfen.

5. Eine „Bagatelleinnahme“ iHv zehn Euro mtl. (Flaschenpfand ?) bleibt anrechnungsfrei (§ 1 I ALG II-V).

6. Beim Übergang in Altersrente wird nun über den Stichtag hinaus bis zum Beginn der Rentenberechtigung gezahlt (das ist der Erste des Folgemonats, die Zahlung erfolgt aber erst zum Monatsende).

7. Beim Übergang in eine geförderte Ausbildung wird zur Überbrückung ein Monat darlehensweise gezahlt.

8. Wird die Miete wegen Mietrückständen direkt an den Vermieter geleistet, so ist der/die Betroffene davon zu unterrichten. „Vergisst“ die Behörde diese Zahlungen, kann den Betroffenen deswegen nicht gekündigt werden (so das Bundessozialgericht).

Alle Paragrafenangaben aus dem SGB II; Stand 09.03.2011

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Bildungspakt ab 01.01.2011 - Schnell Anträge stellen und Nachzahlung sichern!

http://www.erwerbslos.de/
Verteiler: Erwerbsloseninitiativen und Beratungstellen bundesweit

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Bezieher von Hartz IV, Sozialhilfe, Wohngeld oder des Kinderzuschlags müssen nun schnell die neuen Leistungen für Kinder und Jugendliche ("Bildung und Teilhabe") beantragen, um sich eine Nachzahlung zu sichern.

Dabei geht es für einkommensschwache Haushalte um richtig viel Geld:
Mindestens 30 Euro pro Kind. Gibt es ein Mittagessen in der Schule, Kita oder im Hort, sind es sogar mindestens 108 Euro!

Die Nachzahlung gibt es in Form einer Geldzahlung und unter erleichterten Bedingungen:
So muss nicht nachgewiesen werden, dass ein Kind tatsächlich ein an der Schule angebotenes Mittagessen wahrgenommen hat oder tatsächlich Angebote von Vereinen genutzt hat.

Um die Nachzahlung zu bekommen, müssen unbedingt bestimmte Fristen eingehalten werden:
Wer Hartz IV oder Sozialhilfe bezieht, muss spätestens bis zum 30. April einen Antrag stellen, wer Wohngeld oder den Kinderzuschalg bezieht, spätestens bis zum 31. Mai.

Die Möglichkeit, eine Nachzahlung zu bekommen, sowie die dabei einzuhaltenden Fristen sind so gut wie gar nicht bekannt. Bitte helft mit, die Sache bekannt zu machen, etwa indem Ihr das Info-Blatt auslegt, aushängt oder weiterleitet.

Herzlichen Dank! Herzliche Grüße

Martin Künkler
von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen
Märkisches Ufer 28, 10179 Berlin
T: 030 / 86 87 67 0 -0; Fax: -21

E-Mail: info [at] erwerbslos [dot] de
Internet: www.erwerbslos.de

Mehr Informationen und unsere Materialien zum Thema (Info-Blatt für Betroffene, Musterantrag, Pressemitteilung) findet Ihr hier:

http://www.erwerbslos.de/rechtshilfen/alg-2-regelleistungen-und-co/516-jetzt-handeln-kein-geld-verschenken.html

darin: Die Pressemitteilung der KOS:
http://www.erwerbslos.de/images/stories/dokumente/rechtshilfen/alg_ii_regelleistung_co/pm_nachzahlung_sichern2.pdf

Infoblatt zum Antrag auf (nachträglichen) Bildungspaket
http://www.erwerbslos.de/images/stories/dokumente/rechtshilfen/alg_ii_regelleistung_co/infoblatt_antraege_stellen.pdf

Ein Musterantrag zum Ausfüllen per Hand oder am PC hier:
http://www.erwerbslos.de/images/stories/dokumente/rechtshilfen/alg_ii_regelleistung_co/musterantrag_nachzahlung.doc


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Bürgerarbeit: Wie weiter? vom März 2011

Ver.di und DGB müssen die Interessen der Beschäftigten und Erwerbslosen verteidigen!

Erwerbslose befürchten ein „Einknicken“ und unnötige Zugeständnisse gegenüber der schwarz-gelben Arbeitsmarktpolitik.

Eine Zwischenbilanz des ver.di Bezirkserwerbslosenausschuss Sachsen-Anhalt Süd.

„Bürgerarbeit“ – öffentlich geförderte Beschäftigung oder Pflichtarbeit? – so lautete der Titel der DGB Broschüre: arbeitsmarktaktuell Nr.3 vom März 2010. Eine Studie, in der wir unsere eigene Kritik und unsere Befürchtungen wieder erkannt haben. Eine eigene Positionierung war im April 2010 als „Erwerbslose zur Bürgerarbeit“ [1] publiziert worden. Was kann ein Jahr später gesagt werden, welche Richtung deutet sich an? Wir sind von einem „Öffentlichen Beschäftigungssektor“ genauso weit entfernt wie von einer „allgemeinen Arbeitspflicht“. Weder Roland Koch oder andere Hardliner noch „die Linken“ bestimmen die diffusen Debatten. Wir fragen: Weil die Brisanz raus ist und alles nicht so schlimm gekommen ist, wie gefordert oder befürchtet? Oder weil Tag für Tag Fakten geschaffen werden, die die einen zufrieden stellen und die anderen demütigen. Weil immer noch keine lautstarke, nennenswerte Gegenwehr der Betroffenen zu vernehmen ist?

1. Fakt ist: als „öffentlich geförderte Beschäftigung“ betrachtet, bedeutet Bürgerarbeit (gegenüber ABM, MAE Entgeltvariante, selbst gegenüber Ein-Euro-Jobs) für die Betroffenen eine Verschlechterung – in jedweder Hinsicht und von uns zu recht als Null-Euro-Jobs bezeichnet. Ob ein Übergang in den ersten Arbeitsmarkt nennenswert sein wird, darf massiv bezweifelt werden. Manche Betroffene werden Bürgerarbeit trotzdem annehmen wollen. Auf diese potentielle Akzeptanz zielt die ganze Propaganda, aktuell begrüßt Wirtschaftsminister Haseloff in Sachsen/Anhalt noch jeden neuen Bürgerarbeiter mit Handschlag und Zeitungsfoto, nicht nur weil Wahlkampf ist.

2. Fakt ist: Über die angeblichen „Chancen“ der eigentlichen Bürgerarbeit soll geredet und berichtet werden, aber die Praxis bzw. der Skandal der so genannten Aktivierungsphase möge schön im Dunkeln bleiben. So blendet man einen wesentlichen Aspekt der „Pflichtarbeit“ aus.

3. Fakt ist außerdem: die, teilweise verständliche, ambivalente Haltung in Teilen der Gewerkschaften und des DGB gegenüber der Bürgerarbeit wurde und wird benutzt Akzeptanz dafür zu erwirken, nach den Ein-Euro-Jobs die Grauzone prekärer öffentlicher Beschäftigung ausweiten zu können. Bürgerarbeit soll perspektivisch alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente ersetzen. Hierbei wird eine gewisse Zustimmung der Gewerkschaften gebraucht. Das ist Chance und Gefahr gleichermaßen. Denn: trotz der Tatsache, dass bzgl. der Ein-Euro-Jobs ein Skandal den anderen jagte, könnte sich der Eiertanz unserer Gewerkschaften bei der Bürgerarbeit wiederholen. Was nützen allgemeine Forderungen (Tariflohn, Mindestlohn, Freiwilligkeit etc.), punktuelle Kritik (z.B. bei Verletzung der Zusätzlichkeit) und praktische Hilfe (Mitsprache von Betriebsräten bei Einrichtung der Stellen, Klagen auf Festanstellung, Rechtsschutz bei „begründbarer Weigerung“ Stellen anzunehmen usw.) wenn das Große Ganze, also arbeitsmarktpolitisch und unter dem Aspekt der gewerkschaftlichen Interessenvertretung gesehen, trotzdem seinen verheerenden Gang nimmt? Weil nicht jeder Skandal zum Skandal wird, weil nicht jeder seine Interessen vertritt und seine Rechte einklagt!?

4. Gewerkschaftliche Kritik an der Umsetzung des Projektes Bürgerarbeit zielt im Moment auf zwei Aspekte: die in Aussicht gestellte, inzwischen zurückgenommene tarifliche Entlohnung bei kommunalen, tarifgebundenen Beschäftigungsträgern [2] und die bisher noch nicht organisierte Kontrolle der Bürgerarbeitsplätze, also das was zwischen Jobcentern und Maßnahmeträgern vereinbart ist und vom Bundesverwaltungsamt geprüft wird [3].

5. Aus unserer Sicht müssten die Vereinbarungen zwischen Bildungsträgern und Jobcentern für die 6-monatige Aktivierungsphase dringend offen gelegt, evaluiert und ggf. kritisiert und auch gestoppt werden. Hier spielt sich nach unseren Informationen - Erfahrungsberichte Betroffener - der aktuelle Skandal ab. Eine Entwicklung, die absehbar war, weil für die Kosten der Aktivierungsphase keine zusätzlichen Mittel und kein zusätzliches qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Was sich als verbessertes Profiling, Coaching und Arbeitsvermittlung behauptet, entpuppt sich in der Praxis als Massenabfertigung, Beschäftigungstherapie (reine Anwesenheit, Bild-Zeitung Lesen, Kreuzworträtsel und Gruppenausflüge) und Bewerbungstraining / Computerschulung schlechtester Art. Die Betroffenen sollen von der Straße, aus der Statistik, an ihnen exekutiert man „Schulpflicht/arbeit“ und bei Weigerung Sanktionen. Zuweisungen in die Maßnahme sind mit unter nur noch als absurd zu bezeichnen. Erwerbslose, die kurz vor der Verrentung stehen, Kranke und Behinderte füllen die geforderten Kontingente auf. Ob jemand innerhalb dieses Instrumentes Weiterbildung, Qualifikation und Umschulung (alles ja nur noch Kann-Leistungen) zugesprochen wird, ist schon deshalb anzuzweifeln, weil über diese Möglichkeit mit den Betroffenen nicht geredet wurde. (Erfahrungsbericht aus Halle). Es bleibt die Befürchtung, dass hier im Osten innerhalb des Projektes Bürgerarbeit außer den Bürgerarbeitern so gut wie niemand in „reguläre Beschäftigung“ vermittelt werden wird. Dass sich psychisch instabile Erwerbslose – statt Förderung zu erhalten – aufgrund von Druck, schlechter Beratung aus dem Leistungsbezug drängen lassen und gänzlich straucheln, bleibt ebenso zu befürchten. „Rückführung in den Sozialgeldbezug oder erzwungene Frühverrentung wegen Erwerbsunfähigkeit“ kommen hinzu. Diese Low budget -Aktivierung lässt sich nicht schönreden!

6. Anders als in den zurückliegenden Modellversuchen zur Bürgerarbeit ist absehbar, dass die wissenschaftliche Evaluation dieses Großversuches sich auf allgemeine Statistiken beschränken wird und dass in die Evaluation einbezogene Erfahrungsberichte der Teilnehmer sich auf die eigentliche Bürgerarbeit beschränken werden. Eine differenzierte Bewertung der Aktivierungsphase bleibt fraglich. Es ist uns als kleinem Erwerbslosenausschuss nicht möglich eine Befragung der Teilnehmer an der Aktivierungsphase in der Fläche vorzunehmen. Wir tun dies in unseren Möglichkeiten vor Ort. Die Gewerkschaftsgremien, die für die Zukunft folgenschwere Entscheidungen mitzuverantworten haben, sollten unbedingt eigene Erhebungen vornehmen, bevor in irgendetwas eingewilligt wird. Die Bürgerarbeit ist wieder mit „der heißen Nadel“ gestrickt, wie die Hartz IV Gesetzgebung zuvor. Wie ist es sonst zu erklären, dass Tariffragen und die Kontrolle der Bürgerarbeitsstellen und anderes bis dato ungeklärt sind? Gewerkschaften haben nicht die handwerklichen Fehler und Pannen der Regierungskoalition auszubaden. Und die breite, gegenwärtige Verunsicherung der Betroffenen und der kommunalen Arbeitgeber muss nicht zwingend schnell beseitigt werden, sondern könnte auch für eine Bestandsaufnahme und Kritik der bisherigen Praxis genutzt werden. Ein bundesweiter Aufschrei: Verdi blockiert die Beantragung und Einrichtung von Bürgerarbeitsplätzen, die dringend geschaffen und besetzt werden müssen, ein solcher Aufschrei sollte uns nicht erschüttern. Im Gegenteil: die Verteidigung der Tarifbindung kommunaler Arbeit muss Vorrang haben! Ein weiterer auf Dauer etablierter Niedriglohnsektor gefährdet alle bisher erreichten Standards.

7. Bundesweit wird die Reduzierung der Ein-Euro-Jobs zumindest von vielen Trägern kritisiert. Diverse Projekte und selbst Träger stehen vor dem Aus bzw. der Insolvenz. Warum? Eine ganze Armutsindustrie ist inzwischen entstanden und ein eigener Beschäftigungssektor in der Wohlfahrt: Kleiderkammern, Möbelbörsen, Armenkaufhäuser, Suppenküchen und Tafeln. Die Träger fordern Ersatz für die wegfallenden Ein-Euro-Jobs. Jetzt muss die Bürgerarbeit her. Weil die Anzahl der anvisierten Stellen den Bedarf nicht deckt, ist absehbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft allgemeine kommunale Arbeitspflicht diskutiert und gefordert wird, man wird sie nur so nicht nennen. Es wird heißen: „Bürgerarbeit: für jeden eine Chance!“

Wollen die Gewerkschaften widerspruchslos eine solche Entwicklung befördern?
Vielerorts geschieht dies leider schon!
Wie ein auch von Gewerkschaften akzeptierbarer „Öffentlicher Beschäftigungssektor“ aussehen könnte, mit welchen Maßgaben und Kriterien er aufzubauen wäre, welche Probleme damit verbunden sind, ist eine andere Frage.
Die Schikanierung Erwerbsloser in qualitativ völlig unzureichender Aktivierung, ihre Abschiebung in Bürgerarbeit (Hartz IV-Arbeit: nennen wir es so!) zu Löhnen in der Höhe der Transferleistung, die weitere „Vertafelung“ der Gesellschaft, ein weiterer Niedriglohnsektor in kommunalen Aufgabenfeldern kann und darf nicht der Weg sein, den Gewerkschaften mitgehen.

8. Der CDU Bundestagsabgeordnete Peter Weiß hat schon Anfang Februar [4] geäußert, dass die von ihm initiierten Gespräche mit dem Ver.di-Bundesvorstand bald zu einer Lösung des Streits führen werden. Es geht ihm darum „eine einvernehmliche Lösung zu erreichen, wie man den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst mit den Notwendigkeiten des Projekts in Übereinkunft bringen könne. Die Verunsicherung bei den betroffenen Menschen, aber auch seitens der kommunalen Arbeitgeber müsse beendet werden“. Wir fragen: welche Notwendigkeiten? Es kann nur eine sein: Die Kommunen müssen und wollen Arbeiten erledigen, ohne hierfür bezahlen zu müssen. Johannes Jakob (DGB Bundesvorstand Bereich Arbeitsmarktpolitik) schrieb: „Es ist zu befürchten, dass in vielen Projekten der Zuschuss von 900 Euro durchgereicht wird und keine weitere Aufstockung der Löhne erfolgt [5].“ Also worin könnte eine „einvernehmliche“ Lösung bestehen? Darin, dass einige wenige Kommunen, die es sich leisten können oder wollen (Berlin z.B.) Bürgerarbeit Richtung Tarifentlohnung aufstocken, aber 99% dies nicht tun werden und ver.di und DGB auf die Klagemöglichkeit für eine Tarifentlohnung per se verzichten? Oder wird den Bürgermeistern der klammen Gemeinden und Städte die Gründung obskurer gemeinnütziger Beschäftigungsgesellschaften angetragen, die dann „ausgesourct“ machen können, was sie wollen? Äußerst kritisch hat sich im Januar Brigitte Baki, arbeitsmarktpolitische Sprecherin des DGB Bezirks Hessen-Thüringen in einer Veranstaltung zur Bürgerarbeit in Marburg geäußert: „Es gibt keinen politischen Willen, die „Bürgerarbeit“ zu einem menschenwürdigen Projekt umzubauen, es hilft den Menschen nicht aus ihrer Notlage, sondern verschlimmert sie noch. Wir müssen überlegen, dass sie zu einem Rohrkrepierer wird“[6]. Wir können ihr nur zustimmen.

9. Demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung muss in den Gewerkschaften im Kontakt mit der Basis geschehen. Wir fordern den ver.di Bundesvorstand und den DGB Bundesvorstand auf, die Gespräche mit dem MAS zur Bürgerarbeit öffentlich zu machen. Was wird seitens der Bundesregierung eingefordert? Was wird als Lösung vorgeschlagen? Wir wollen mitdiskutieren und unsere Erfahrungen von vor Ort einbringen! Nichts über unsere Köpfe hinweg!.


Halle / Saale, den 2. März 2011

ver.di Bezirkserwerbslosenausschuss Sachen-Anhalt Süd
V.i.S.d.P. Doris Finke, stellv. Geschäftsführerin, ver.di Sachsen-Anhalt Süd, Augustastr. 5, 06108 Halle, Tel.: 0345-2149831, E-Mail: doris [dot] finke [at] verdi [dot] de

Hier der Flyer zum Thema Bürgerarbeit:
www.bag-plesa.de/ord/2011_leipzig/input/halle/buergerarbeit_verdi_halle_2011-03-09.pdf
www.bag-plesa.de/ord/2011_leipzig/input/halle/buergerarbeit_verdi_halle_2011-03-09.html




[1] zu finden auf der zentralen Verdi-homepage mittels Suchfunktion: „Erwerbslose-zum-Thema-Bürgerarbeit.pdf“ sachsen-anhalt-sued.verdi.de
http://www.verdi.de/sachsen-anhalt-sued/frauen_gruppen/erwerbslose/dokumente/data/Erwerbslose-zum-Thema-Burgerarbeit.pdf

[2] zu finden u. a. bei ver.di Mittelhessen / Sozialberatung / Themen-Allgemein / Bürgerarbeit. Dort unter der Überschrift: Bei manchen fällt der Groschen pfennigweise –Einschätzung des DGB Bundesvorstandes zur Bürgerarbeit, Autor: Johannes Jakob 4.11.2010
http://www.verdi.de/mittelhessen/sozialberatung/flyer-allgemein/burgerarbeit

[3] Bericht der Thüringer Allgemeinen vom 14.2.2011, Thomas Voß, Ver.di-Vorsitzender für Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt fordert, dass der Zoll mit seinen hoheitlichen Befugnissen die Bürgerarbeit kontrollieren soll.
Johannes Jakob hatte im BBE Newsletter 15/2010 im Kommentar zur Bürgerarbeit geschrieben: „Bürgerarbeit bedarf der Überwachung durch die Sozialpartner. Ähnlich wie bei ABM sollte ein Ausschuss der Sozialpartner über die Einsatzfelder in der Bürgerarbeit entscheiden. Die in den Argen z. T. eingerichteten Beiräte sind dafür nicht geeignet, weil deren Mitglieder nicht neutral sind und zum Teil direkt oder indirekt von der Arbeit profitieren“.http://www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2010/07/nl15_jakob.pdf

[4] Bericht Badische Zeitung vom 1.2.2011

[5] BBE Newsletter 15/2010 „Kommentar zur Bürgerarbeit“
www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2010/07/nl15_jakob.pdf

[6] „BÜRGERARBEIT“ im Landkreis Marburg-Biedenkopf – eine erste Bilanz oder wird die „Bürgerarbeit“ ein Rohrkrepierer Bericht von Bernd Hannemann vom 22.1.2011 in scharf links – online Zeitung. Bernd Hannemann ist Mitglied im Landesvorstand ver.di Hessen und Mitglied im Erwerbslosenrat ver.di Mittelhessen
http://www.scharf-links.de/41.0.html?&tx_ttnews[cat]=57&tx_ttnews[tt_news]=14783&tx_ttnews[backPid]=222&cHash=a5ba0740d6

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