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http://www.bag-plesa.de/rundbrief/2011/rundbrief-extra-2011-38.pdf

Elektronischer Rundbrief Nr. 38/2011, 07.03.2011
Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen - www.bag-plesa.de
c/o Michael Wengorz - Str. der Befreiung 14 - 06128 Halle
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Tel.: 0345 / 44 56 150, mobil: 0177 - 38 71 430

V.i.S.d.P.: Claudia Kratzsch, Berlin

Der Rundbrief kann abonniert werden unter:
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Herausgeber BAG-Prekäre Lebenslagen - www.bag-plesa.de


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Konfrontation mit den Behörden- Begleitung ist immer sinnvoll!
Beispiel aus einem Berliner Jobcenter zum Thema Verfolgungsbetreuung von Jugendlichen


Eine Frau erhält für ihr Kind „Permanentpost" [i] vom Jobcenter. Sie reagiert und liefert Jahr für Halbjahr Schulbescheinigungen, auch immer mit Empfangsbestätigung. Anscheinend geht in den Jobcentern mehr verloren als in der Akte abgeheftet wird. Sie möchte ihrem Kind jeden Kontakt zu dieser Behörde und deren MitarbeiterInnen ersparen. In den Schreiben wird gedroht, „so entziehen wir ihnen vorübergehend die komplette Leistung“, bzw. wegen Meldeversäumnis 10%. Es wird gelogen, „Sie teilten dem Jobcenter mit, dass Sie noch bis zum Sommer 2011 die Schule besuchen werden“. Eine Entschuldigung erfolgt niemals.

Es werden zu Unrecht Daten verlangt, „letzten Zeugnisnoten in Mathe, Deutsch, Englisch“.

Auch in den nachfolgenden Schreiben der Behörde wird deutlich, dass soziale Rechte (materielle Existenzsicherung) relativiert und an individuellen Verpflichtungen zu Erwerbsarbeit und mehr geknüpft werden. “Keine Angst- das bedeutet nicht, dass sie jetzt die Schule vorzeitig verlassen müssen, um zu arbeiten“.

Und es folgt eine Beschränkung der Auswahl von Angebote für Jugendliche auf die Agentur für Arbeit. „Den Kontakt zur Berufsberatung der Agentur für Arbeit stelle ich anschließend bei Bedarf her“.


In vielen Internetforen und bei Beratungen und Begleitungen tauchen Fragen rund um diesen Bereich der stigmatisierenden und bedrängenden Behandlung von Jugendlichen auf. Deshalb haben wir einige Tipps im Umgang mit den „Anforderungen“der Behörden aufgelistet (viele aus dem tacheles- Diskusssionsforum). Zur Anschauung haben wir Originalbriefe vom Berliner „Blauen Haus“ (Jobcenter der Gruppe U25 für Gesamt Berlin) aufgenommen. Gezielt zwängische Schreiben und Verhaltensweisen der Behörden und ihrer MitarbeiterInnen (Prellböcke)prägen das Alltagserleben von Jugendlichen und deren Erzeihenden mit Grundsicherungen.

Sachstand:

1. Bei Minderjährigen ab dem 7. und bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres kann in Hinblick auf die allgemeine Schulpflicht von einem Schulbesuch ausgegangen werden. Ein gesonderter Nachweis ist in diesem Zeitraum entbehrlich, soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen.
http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/A01-Allgemein-Info/A015-Oeffentlichkeitsarbeit/Publikation/pdf/Gesetzestext-24a-SGB-II-Zusaetzliche-Leistung-Schule.pdf

2. Nach Ansicht der Datenschutzbeauftragten der Bundesländer Berlin-Brandenburg gehört die Vorlage von Schulzeugnissen nicht zur Mitwirkungspflicht:
http://www.lda.brandenburg.de/sixcms/media.php/2232/Ratgeber_Hartz_IV_2009.pdf (Seite 10)


3. Zudem ist die Arge dazu verpflichtet, dir die Rechtsgrundlage für die Erhebung der von ihr geforderten Sozialdaten (Zeugnisse) mitzuteilen oder, wenn es die nicht gibt, dich auf die Freiwilligkeit dieser Angaben hinzuweisen:
http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbx/67a.html Abs. 3 Satz 3

4. Egal ob die/der Jugendliche erst 15 oder volljährig ist, er hat grundsätzlich das Recht, einen Beistand mitzunehmen ( § 13 Abs. 4 SGB X).

5. Sofern die schulische Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist, kann sich der Jugendliche auf die Ausnahmetatbestände des § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II berufen. Aufgrund dieser gesetzlich geregelten Mitwirkungspflicht scheidet daher eine Aufnahme in der EinV aus. Sanktionen sind daher nicht möglich. Sofern die Vorlage des Schulzeugnisses in die Eingliederungsvereinbarung dennoch einvernehmlich aufgenommen wird, hat dies nur den Charakter eines "gemeinsamen Fahrplans", stellt aber keine sanktionsbewehrte Pflicht dar. Sollte der Jugendliche bzw. dessen gesetzlicher Vertreter nicht zu einer freiwilligen Selbstauskunft bereit sein, ist zur Absicherung des weiteren Vorgehens bei der Integration und zur zeitnahen Unterstützung des Profilings (§ 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 37 SGB III) die Einschaltung des Psychologischen Dienstes (z. B. Berufswahltest, Psychologische Begutachtung) - soweit im Einzelfall erforderlich - in Betracht zu ziehen. Hinweise: Siehe auch Eintrag [10026] zu § 31 (identisch)."
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__10.html



erstes Schreiben des Jobcenters an eine/n Schüler/in Sie teilten dem Jobcenter Berlin Mitte mit, dass Sie noch bis zum Sommer 2011 die Schule besuchen werden.

Sicherlich haben Sie sich bereits Gedanken gemacht, wie es danach beruflich weitergehen kann. Eine erfolgreiche Suche nach einem Ausbildungsplatz erfordert heute ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen. Gerne helfen Ihnen dabei unsere ausgebildeten Berufsberater der Bundesagentur für Arbeit. Alle Fragen, die im Zusammenhang mit der Berufswahl stehen, können Sie dort rechtzeitig klären.

Deshalb vereinbaren Sie bitte umgehend, spätestens aber bis zum … einen Termin in der Berufsberatung! Bitte nutzen Sie vorrangig die Schulsprechstunden!

Je eher Sie sich beraten lassen, desto sicherer und schneller finden Sie ihren Ausbildungsplatz.

Ich bitte Sie in jedem Fall, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und an folgende Adresse zurückzusenden.

Bitte beachten Sie den beiliegenden Text zur Mitwirkungspflicht und die Folgen der fehlenden Mitwirkung gem. §§ 60, 66, 67 SGBI.


Fragebogen:
  1. In welcher Klasse befinden Sie sich: 9. Klasse, 10.Klasse oder andere Klasse
  2. Welchen Schulabschluss werden Sie voraussichtlich erreichen:
  3. meine letzten Zeugnisnoten sind in Mathe, Deutsch, Englisch
  4. Angaben über beabsichtigte Vorhaben nach dem Schulbesuch
  5. Ich nehme eine Ausbildung auf: am ... als ...
  6. Ich suche noch einen Ausbildungsplatz, als ...
  7. Ich werde weiterhin die Schule besuchen, welche ...
  8. sonstige bereits erfolgte Anmeldungen z.B. freiwilliges Jahr
  9. Ich bin derzeit unter folgender Telefonnummer zu erreichen ...

zweites Schreiben des Jobcenters an eine/n Schüler/in

bitte kommen Sie am 07.06.2010 um 8.30 Uhr in das Jobcenter Berlin Mitte, Lehrter Str. 46, 10557 Berlin, Raum X.YZ.
Ich möchte mit Ihnen über Ihr Bewerberangebot bzw. Ihre berufliche Situation sprechen.
Warum diese Einladung? Sie sind mit der Vollendung des 15. Lebensjahres im Sinne des Gesetzes "erwerbsfähig" und haben damit Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II ("Hartz 4"). Deshalb möchte ich mit Ihnen in einem ersten persönlichen Gespräch verschieden Fragen klären-sie wollen nach dem Hauptschul-oder Realschulabschluss eine weiterführende Schule besuchen?

Haben Sie bestimmte berufliche Vorstellungen- vielleicht einen Wunschberuf? Wie können wir Sie ggf. unterstützen? Wir müssen wegen der feststehenden Bewerbungs- und Einstellungstermine, die häufig von Betreiben, Schulen und Universitäten vorgegeben werden, frühzeitig die Frage klären, wie es für Sie nach der Schule weitergeht und ggf. eine Vereinbarung treffen (auch wenn Sie voraussichtlich noch mehrere Jahre zur Schule gehen, weil Sie z.B. das Abitur machen möchten).

Keine Angst- das bedeutet nicht, dass sie jetzt die Schule vorzeitig verlassen müssen, um zu arbeiten. Ihre Eltern sind bei diesem Gespräch selbstverständlich willkommen. Sie können Fragen stellen oder einfach "dabei" sein. Den Kontakt zur Berufsberatung der Agentur für Arbeit stelle ich anschließend bei Bedarf her.

Bringen Sie bitte noch zusätzlich folgende Unterlagen zu diesem Termin mit:
- Bewerbungsunterlagen
- Kopie des letzten Zeugnisses

Dies ist eine Einladung nach dem § 59 Zweites Buch des Sozialgesetzbuch (SGB II) in Verbindung mit § 309 Abs.1 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III).
Wenn Sie ohne wichtigen Grund dieser Einladung nicht Folge leisten, wird ihr Arbeitslosengeld II um 10% der für Sie nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) maßgebenden Regelleistung für die Dauer von drei Monaten abgesenkt. Falls Ihnen ein Zuschlag nach § 24 SGB II gewährt wird, entfällt auch dieser für den Absenkungszeitraum.
Beachten Sie bitte unbedingt auch die nachfolgende Rechtsfolgebelehrung und die weiteren Hinweise.
Unter bestimmten Voraussetzungen können Reisekosten erstattet werden, falls ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt wird, legen Sie bitte den Fahrschein vor. Bitte bringen Sie auch Ihren Personalausweis oder Reisepass mit.


Rechtsfolgebelehrung, Rechtsbehelfsbelehrung und weitere Hinweise:

Rechtsfolgebelehrung:
  1. Eine Verletzung der Meldepflicht nach § 59 SGBII i.V.m. §309 SGBIII liegt vor, wenn Sie der Aufforderung Ihres zuständigen Trägers der Grundsicherung, sich persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommen.
  2. Bei Verletzung der Meldepflicht wird das Arbeitslosengeld II um den Prozentsatz ...
  3. Bei einer wiederholten Verletzung ...
  4. Absenkung und Wegfall dauern drei Monate und beginnen ...
  5. Durch Verletzung der o.g. Pflichten können sich ggf. Überschneidungen der Sanktionszeiträume ...
  6. wichtiger Grund ...
  7. ...um Minderung…mehr als 30%... ggf. ergänzende Sachleistungen ... in der Regel bei minderjährigen Kindern ...


Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Aufforderung können sie innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der oben genannten Stelle einzulegen.
Hinweis:
Auch wenn Sie Widerspruch erheben, Sie sind verpflichtet, der Meldeaufforderung nachzukommen. Ein Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung (§39 Nr.4 SGB II). Bitte beachten Sie daher, dass trotz eines Widerspruches die oben beschriebenen Rechtsfolgen eintreten, wenn Sie ohne wichtigen Grund der Meldeaufforderung nicht nachkommen und der Widerspruch keinen Erfolg hat.
Die maßgeblichen Vorschriften können Sie bei ihrem Träger der Grundsicherung einsehen.


drittes Schreiben des Jobcenters an eine/n Schüler/in

Ich beziehe mich auf ihre Beschwerde gegen die KollegInnen V., W., und X. und möchte Ihnen gerne darlegen, weshalb angenommen wurde, dass ihr Kind P. im Sommer diesem Jahres die Schule verlässt und deshalb mehrfach angeschrieben und eingeladen wurde.

Erlauben Sie mir bitte einige, vielleicht ausschweifende Worte.

Nach Vollendung des 15. Lebensjahres und der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht gilt ein Jugendlicher in Deutschland als erwerbsfähig und kann (theoretisch) eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen. Es ist Ausfluss der allgemeinen Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs.1 Grundgesetz, dass jeder Jugendliche sich aussuchen kann, wie lange er zur Schule geht und welchen Schulanschluss er anstrebt.

Dies gilt natürlich auch für Jugendliche im Leistungsbezug des SGB II. Um feststellen zu können, wer weiter Schüler ist und demzufolge keine Anstrengungen unternehmen muss, seine Hilfebedürftigkeit zu reduzieren, bzw. wer weiterhin zur Schule gehen möchte und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, wird ein sogenanntes Arbeitspaket versandt, in dem auch eine aktuelle Schulbescheinigung angefordert wird. Die Angaben zum Schulbesuch und dem voraussichtlichen Ende des Schulbesuches werden erfasst. Aus ihnen ergibt sich auch das voraussichtliche Schulentlassjahr.

Ihrem Kind P. wurde nach Vollendung des 15. Lebensjahres am 3.6.2010 ein solches Arbeitspaket zugesandt. In diesem Formular können Angaben über den geplanten Schulbesuch und berufliche Ziele gemacht werden. Leider erhielt ich dieses Arbeitspaket nicht zurück.

Meine Annahme, dass Ihr Kind P. im Sommer 2011 die Schule verlässt rührt von den beiden in der Arbeitsvermittlung eingegangenen Schulbescheinigungen her. Denn diese gaben für die voraussichtliche Dauer des Schulbesuchs dieses Datum an.

Da ihr Kind P. bereits die 10. Klasse besucht, ist zumindest theoretisch möglich, dass ihr Sohn mit dem mittleren Schulabschluss im Sommer 2011 die Schule verlässt und eine Ausbildung sucht.

Um diese Annahme verifizieren zu können, wurde ihr Kind P. mit Schreiben vom 20.10.2010 und vom 11.12.2010 gebeten, sich zu erklären, ob er eine Ausbildung suche. Da keine Antwort auf dieses Schreiben einging, hat Frau V. als Prozessverantwortliche Ihrem Sohn eine Einladung zum …zugesandt, um den Sachverhalt in einem persönlichen Gespräch klären zu können.

Bis zum Eingang ihrer Beschwerde hatte der Bereich der Arbeitsvermittlung keine Kenntnis von dem geplanten Schulbesuch bis 2014. Ihre Angaben dazu gegenüber anderen Mitarbeitern unseres Hauses, habe ich leider nicht erhalten.


Ihr Kind wird jetzt als Schüler bis zum Sommer 2014 geführt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir verpflichtet sind regelmäßig, d.h. mindestens alle sechs Monate die Aktualität dieser Angabe zu überprüfen, indem wir eine Schulbescheinigung fordern.

Ich gehe davon aus, dass sich hiermit auch ihr Antrag auf Akteneinsicht erledigt hat. Sofern dies nicht der Fall ist, wenden Sie sich bitte an ihre zuständige Leistungsstelle. Alle von Ihnen eingereichten Unterlagen befinden sich in der Leistungsakte. Im Bereich der Arbeitsvermittlung werden nur Ergebnisvermerke zu erfolgtem telefonischen oder persönlichen Kontakt erfasst.

Ich bedaure sehr, dass Sie mich, bzw. meine Behörde als inkompetent in inhaltlich überwiegend bildungs- und jugendhilfepolitischen Themenkomplexen ansehen. Trotzdem stehen ihrem Kind P. unser Haus als auch die Berufsberatung der Agentur für Arbeit jederzeit offen.


[i] Die Briefe des Jobcenters kommen und es werden immer wieder die gleichen Unterlagen einzureichen verlangt und immer mit dem Hinweis der Mitwirkungspflicht und der Androhung der Einstellung von Leistung. Es ist gefühlt wie briefliches Stalking.

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